"Für eine bessere Welt / Neue Wege in der Wirtschaft"

Dossier über Gesellschaft, Wirtschaft und Staat 2005/2006. Vollendet: 1. März 2007

20.07.2013: Ihnen gefällt dieser Aufsatz?

- dann können Sie sich vielleicht für folgende Online-Petition begeistern, läuft seit 08. Juli 2013:

Wird das Wachstum bedroht, schlägt die Wirtschaft um sich. Mensch und Natur müssen dabei in Deckung gehen.
Ablösung von Wachstum als Maxime für Wohlstand gegen die Fähigkeit zu Gedeihen
Erläuterung
Ein Versuch, Menschen für eine Änderung des Systems zu bewegen, das an die Grenzen des Planeten Erde stößt.

Inhaltsverzeichnis

1 - Die 3 Pfade des Umdenkens
2 - Ein gänzlich freier Markt schadet dem Staat und den ihn begründenen Bürgern
2.1 - Geiz ist ungeil
2.2 - Blendung der Discounter. Das Aldiprinzip - wirklich ein Verbrauchervorteil?
2.3 - Der Druck auf die Produzenten
2.4 - Niedergang der Qualität bei Handwerk und Kultur
2.5 - Wer hat am längsten offen? / Personalabbau im Handel
2.6 - Geiz ist geil hat auch die Dienstleister erwischt
2.7 - Die Billigheimer - Hort einer Sekte?
2.8 - Empfehlungen - Geiz ist geil an der Wurzel packen

3 - Wachstum einzelner Unternehmen ist kein Garant für Wirtschaftswachstum
     / Der Börsengang ist nicht der Königsweg / zu viele Berater im Land
3.1 - Wie das Wachstum einzelner Unternehmen die Wirtschaft schrumpfen lässt
3.2 - Mathematischer Beweis am Modell
3.3 - Beispiel Douglas Holding AG: Ausspielen von Macht; Rückgang des Umsatzes bei der Konkurrenz
3.4 - Statistiken + Prognosen für den Lebensmittelhandel und Elektronikmarkt
     über das irrsinnige Wachstum bei den Baumärkten
3.5 - Beispiel MetroGroup: Relativierung des Geschäftsberichts 2005
3.5.1 - Unersättliches Wachstum und Verwunderung über Konsumzurückhaltung; Das Henne-Ei-Problem
3.5.2 - Die Metrokarte für Gewerbetreibende
3.5.3 - Wer in der Elektrobranche kann von profitablem Wachstum sprechen?
3.6 - Mergers & Acquisitions - Markt für An- und Verkauf von Unternehmen
     Ein Verschiebebahnhof über den Köpfen der Angestellten
3.7 - Beispiele zu Eigentümerwechsel bei Unternehmen
3.7.1 - Beispiel Grohe: verunfallt durch Börse, Auslaugung durch Investoren und zerstört durch McKinsey
3.7.2 - Beispiel Wella: Verrat durch profitgierige Fondsgesellschaften
3.7.3 - Beispiel Iglo: Betriebsform "Aktiengesellschaft" völlig ungeeignet
3.7.4 - Beispiel IWKA: Hauptsache das Portfolio passt
3.7.5 - Beispiel AEG: Opferung der Tradition für Gewinnmaximierung und EBITDA
3.8 - Die Heuschrecken: Gibt es sie doch?
     Ein Seitenblick auf Hedge-Fond-Gesellschaften und deren Verwandte
3.9 - Die Bedienung der Aktionäre
3.9.1 - Beispiel Continental: Rekordgewinnen stehen Altersteilzeit,
     Zeitverträge und Verpflanzungen der Arbeitnehmer entgegen.
3.9.2 - Beispiel Allianz: Wettkampf um Renditen / Zufriedenheit wird nie erreicht
3.9.3 - Beispiel Deutsche Telekom: 16% mehr Dividende und massiver Stellenabbau
3.9.4 - Beispiel Henkel: Arbeitnehmer zahlen für Krux des Aktiengeschäfts
3.9.5 - Diskrepanz zwischen Realität der Bürger und krampfhaftem Festhalten
     an steigenden Renditen der Betriebslenker / Abschied von der Deutschland AG
3.9.6 - Wird in diesem System wirklich Mehrwert geschaffen?
     Die zu erwirtschaftenden Gewinne - eine Akionärssteuer?
     Das Wirtschaftssystem - nicht mehr als ein Gedankenspiel?
3.10 - Ist der moderne Kapitalismus ein totalitäres System?
3.10.1 - Anarchie für den Shareholder-Value
3.10.2. - Vergleich zwischen dem heutigen Kapitalismus und den Diktaturen des 20. Jahrhunderts
     Die Regeln des Kapitalismus sind kein Naturgesetz
3.11 - Portfolios, Manager und ihre Sammlungen
3.12 - Die Utopie des immerwährenden Wachstums
3.12.1 - Der Vergleich mit Boomstaaten wie China hinkt
3.12.2 - Naturschutz und FFH-Gebiete als Sündenbock einer um sich schlagenden Wirtschaft
     Beispiele A380-Politikskandal Mühlenberger Loch / Flächenverbrauch für IKEA / Abholzung von Wäldern
3.13 - Wege aus dem Wachstumszwang, neue Denkweisen und Alternativen zu Aktiengesellschaften

4 - Der Staat spart nicht durch Privatisierungen
4.1 - Zu Beginn ein Blick auf die privatisierten Monopole
4.2 - Strom- der mühsame Versuch, eine nichtlagerungsfähige Sache handelbar zu machen
4.2.1 - Die EU-Kommission bringt den Strom in die Regale
4.2.2 - Beseitigung der Netzzugangsdiskriminierung durch Regulatoren
4.2.3 - Gesetzesgrundlage in Deutschland, die VV II+ und die Netzagentur
4.2.3 - Resümee
4.3 - Geschichten aus Tirol: Ausverkauf der Natur für grünen Stempel auf der Stromrechnung
4.4 - Rolle rückwärts bei Privatisierung des Wassermarktes?
4.5 - Vorurteile gegenüber öffentlichen Dienst
4.6 - Überflüssige Beratung und falsche Analyse durch McKinsey
4.7 - Weitere angeschnittene Punkte aus der Welt von Public Private Partnership, Fließbandgutachtern und Privatisierung/ Reverstaatlichung
4.8 - Privatisierungen - es geht auch ohne

5 - Schlusswort

1 - Die 3 Pfade des Umdenkens

Dies ist ein Dossier über Gesellschaft, Wirtschaft und Staat 2005/2006. In diesen beiden Jahren mussten sich die deutschen Bürger immer wieder Floskeln, Aufrufe und wiedergekäuerte Forderungen anhören: Flexibilität, Mobilität, Effizienz, lebenslanges Lernen, Bereitschaft zu Neuem, Vorfahrt für Arbeit, Abbau von Besitzständen, sozial ist was Arbeit schafft, ... . Und nicht zuletzt ist die Mopsfledermaus an allem schuld und der Feldhamster deckt das ganze. Doch sind auf der anderen Seite Wirtschaft und die das theoretische Gedankengebäude aufbauende Wirtschaftswissenschaften flexibel und aufgeschlossen, Dogmen zu überdenken?
Für eine Besserung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands braucht es gar nicht immer nur Sparmaßnahmen, steuerliche Einschnitte, Eingriffe in die Natur und größere Freiheiten für Unternehmen. Deutschland geht es gut und es könnte besser sein. Ein bodenständiges, aufgeklärtes Bürgertum und wertegebundenes Denken könnte in den Bereichen Bürger, Wirtschaft und Staat viel weitreichender helfen als es jedes Sparpaket vermag. Dieses Dossier möchte dazu anregen, die Automatismen und Dogmen zu verlassen, die von Bürgern gelebt und in Sonntagsreden von Vorständen, Wirtschaftswissenschaftlern und in Talkrunden gepredigt werden. Denn die gegenwärtige Wirtschaftsweise ist weder gottgegeben, noch ist sie ein Naturgesetz. Allein wir Menschen haben uns diese Situation geschaffen, in der wir uns am Ende aller Tabellen sehen.

Für neue Wege werden nun drei Theorien in den Raum gestellt, die im folgenden begründet und mit Lösungsvorschlägen versehen werden.

Die Bürger. Der Markt regelt sich nicht von selbst zum Wohle des Staates und Konkurrenz kann das Geschäft so beleben, dass es zum Herzinfarkt führt. Die von der MetroGroup salonfähig gemachte Geiz-ist-geil Mentalität ist das beste Beispiel dazu. Zahlreiche Pleitegänge mit allen negativen Folgen, die der Staat tragen muss, hat der Trend zum billigen zu verantworten. Siehe Kapitel 2

Die Wirtschaft. 2. Wachstum einzelner Unternehmen ist kein Garant für Wirtschaftswachstum.Die Euphorie, mit der Journalisten an der Börse von den überdurchschnittlichen Umsatzgewinnen expandierender Unternehmen berichten, lässt lange nicht auf einen damit verbundenen Vorteil für den Staat schließen. Die zahlreichen nicht an der Börse notierten Konkurrenten, die in der Summe überdurchschnittlich Verlust gemacht haben, finden keine Erwähnung. Aber auch so manches nicht an der Börse notiertes Unternehmen trägt durch sein Wachstum nicht unbedingt zur Umsatzsteigerung bei.

Der Börsengang ist nicht der Königsweg. Quartalsberichte und Bürokratie, die der Börsengang bringt, können ein Unternehmen auch lähmen. Wenn bei Aktiengesellschaften nur der Shareholdervalue zählt, ist das nicht unbedingt zum Vorteil von Produkten, Bürgern und Staat. Aktiengesellschaft geraten in ein Wachstumskarusell, das sich immer schneller dreht. Denn mit jedem neuen Geschäftsjahr müssen die Gewinne abzüglich der Kosten für Firmenkäufe steigen. Nichts kann ewig wachsen, vor allem wenn der Markt begrenzt ist. Wenn Umsatz und mit ihm der Gewinn nicht wächst, werden Vorstände hektisch, selbst wenn das Unternehmen ein dickes Plus verzeichnet. Nullwachstum wird mit Kursverlusten abgestraft, selbst wenn der Wert des Unterehmens an sich mit der Summe seines ideellen und faßbaren Inventars nicht gesunken ist.

In der Wirtschaft nehmen zu oft die falschen Berater das Heft in die Hand und nicht jeder Trend ist nachahmendswert. Unternehmensberater überhäufen gestandene Unternehmen mit einem Kauderwelsch von Floskeln, auf die man selbst kommen kann. Man bekommt den Eindruck, dass es zu viele Wirtschaftsabsolventen gibt, die aus Selbstzweck beraten. Beteiligungsgesellschaften werden all zu gerne aus der Ecke der Heuschreckenverteufelung geholt. Siehe Kapitel 3

Der Staat. Der Staat spart nicht durch Privatisierungen. Tatsächlich muss er Arbeitslose unterhalten und die Bürger verlieren Kaufkraft und Service. Siehe Kapitel 4

2 - Ein gänzlich freier Markt schadet dem Staat und den ihn begründenen Bürgern

2.1 - Geiz ist ungeil

Geiz ist geil - dieser Satz ist inzwischen im ganzen Land bekannt. Doch wird er auch von allen geliebt? Inzwischen schlagen Gruppierungen unterschiedlichster Interessen Protest. Umweltverbände, Naturschützer, Christen, Freimaurer, Politiker und Medienvertreter. Sie alle haben inzwischen erkannt, dass die insbesondere von der MetroGroup unterstützte Mentalität Geiz ist Geil und der knallharten Preiskampf der Discounter wie Lidl und Aldi zu einer unsäglichen Abwärtsspirale für die Arbeitsplätze, Qualität der Produkte, Kultur und unser Land führen.

Die Folgen der Arbwärtsspirale können in eine finanzielle, geistige und kulturelle Verarmung unseres Landes aufgeteilt werden:

finanziell: Der Geldkreislauf erweitert sich weg von der Region hin zu den großen Einzelhändlern und ihren Großzulieferern. Einkaufspreise werden durch Ausspielen der Marktmacht gedrückt, das Lohnniveau sinkt. Geringere Steuern und geringere Abgaben zu Kranken- und Rentenkassen sind die Folge. Die niedrigen Preise führen zu einem niedrigerem Mehrwertsteueraufkommen, sofern man die Mwst nicht erhöht; außerdem sinkt der Gesamtumsatz. Durch Konzentration der Lieferanten auf Großbetriebe sinken in den Branchen der Zulieferer die Arbeitsplätze. Mehrere kleinere Betriebe bieten mehr Arbeitsplätze.

geistig: Die Ansprüche werden herabgesetzt, man sieht und kennt nicht die Vielfalt. Aldi, Lidl, IKEA & Co werden als alles erfüllend und gar als Ersatz für ein blühendes Geschäftsleben gesehen. Die Motivation zur Erkundung normaler Fachgeschäfte sinkt mit der Bedienung durch eine scheinbare Rundumversorgung. Der Organisation des Alltags wird weniger mitdenken abverlangt. Einsparpotentiale werden nur in niedrigen Preisen zu Lasten unseres Landes gesehen.

Kulturell: In den Städten ist ein Verlust an Tradition bemerkbar. Einmal wird das Handwerk nicht gefördert, dann löst sich im Lebensmittelbereich die Beziehung zwischen Stadt und Land (der Region) und die am Gemeindeleben beteiligten Inhaber der Geschäfte gibt es nicht mehr. Landwirte können ihre Produkte nicht mehr am Schlachthof und Milchzentrale abliefern, Discountbäcker backen Fertigteiglinge auf und die Werkstätten verschwinden aus den Hinterhöfen der Wohnblöcke. Auch auf dem Land schwinden die Kleinbetriebe. Vereinzelt noch existierene Drogerien und Elektrogeschäfte mit einem individuellen Angebot erscheinen wie aus einer anderen Zeit. Die Augen werden mit architektonisch miserablen Flachbauten mit Alibi-Satteldächern und großen Parkplätzen gepeinigt. Die über Jahrzehnte ausgeübte Siedlungspolitik war nicht das gelbe vom Ei. Noch Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurden z.B. in Karlsruhe schöne Stadtteile mit gemischter Nutzung geschaffen. Die heutigen Läden dort fügen sich in die Nachbarschaft mit den kunstvollen Hausfassaden ein. Bei den Neubaugebieten der Neuzeit mit den oft verworrenen Straßensystemen und wenig kunstvollen Häusern wurde das Einkaufen ausgelagert und konzentriert. Meist bekam irgendein größerer Investor den Zuschlag für die Errichtung eines großen Marktes, die Förderung kleinerer heimischer Betriebe blieb aus. Den Geschäften in den alten gewachsenen Stadtteilen wird mit den hässlichen Gewerbegebieten, den sogenannten Fachmarktzentren, der Garaus gemacht.

Mit Antibiotika und Hormonen belastetes und manchmal auch verdorbenes Billigfleisch, belastetes Obst und Gemüse, Strom fressende und als Ausschußware verkaufte Elektrogeräte sind das Ergebnis einer Marketingstrategie und Käuferverhalten, in der der Preis alles, Umwelt, Gesundheit, Ehrlichkeit und Verantwortung nichts zählen.

Zwar ist für 2006 eine Zunahme des Angebots von Bioprodukten um 15% zu verzeichnen. Doch dies geschieht einmal auf niedrigem Niveau von 3 bis 4 % Marktanteil und zum anderen machten dabei vorwiegend die Filialisten große Kasse. Bei den klassischen Bioläden tut sich da eher wenig. Auch bringt die gesteigerte Nachfrage der deutschen Landwirtschaft nicht unbedingt viel. Stand die bislang in Bioläden und speziellen Biosupermärkten verkaufte Ware neben der Verantwortung für die Natur auch für ein gesichertes Auskommen der Produzenten, drängen günstige Produzenten aus Osteuropa auf den Markt.
Alteingesessene Bioläden achten in der Regel auf Bezug von Waren "ihrer" Hersteller aus der Region, die nachhaltige Landwirtschaft auch aus Überzeugung betreiben. Die Erzeugung von Lebensmitteln nach Bioland- , Demeter- oder anderen Richtlinien ist aufwändiger als es die EU-Verordnung vorschreibt. So ist z.b. nach EU-Verordnung neben der ökologischen auch eine konventionelle Bewirtschaftung erlaubt, der Zukauf von Futtermitteln darf höher sein und die Dügung wird lockerer gehandhabt.
Nach dem nun auch die Discounter den Biomarkt entdeckt haben steigt der Anteil der nicht in Deutschland produzierten Ware an. Diese Ware genügt also geringeren Standards und ist zudem oft in der Gesamtrechnung gar nicht "Bio". Die Transportwege reichen inzwischen bis nach Südamerika und Neuseeland für Produkte, die auch in Deutschland produziert werden. Luxusgüter wie ägyptische Tomaten im Winter bekommen ebenso das Biolabel wie der Biohonig aus Peru oder das Bioobst aus Rumänien.

Ziel der zur MetroGroup gehörenden MediaMarkt und Saturn –Märkte ist es, mit aggresiver Werbung und Expansion die Konkurrenz an die Wand zu drücken und Marktanteile zu gewinnen. Dabei gehen mit weniger Verkäufern auf größerer Verkaufsfläche Arbeitsplätze und vor allem Existenzen kleinerer Händler verloren. Auf diesem Weg sind auch Mittel wie im Dezember 2005 bekannt gewordene Verstöße gegen die Energieverbrauchs-Kennzeichnungsverordnung recht. Danach waren Energieverbrauchsangaben von Haushaltsgeräten nicht korrekt platziert. Dies verschafft Wettbewerbsvorteile gegenüber ehrlichen Händlern, wenn Kunden dann zwar billigere aber im Verbrauch teurere und umweltbelastendere Geräte kaufen. Auch sind viele angebliche Schnäppchen keine Schnäppchen. Oft handelt es sich um Ware, die nicht mehr dem neuesten Stand der Technik entspricht und in anderen Läden nicht oder nur unwesentlich mehr kostet.

Discounter wie Aldi versprechen Herstellergarantien (C’t 3/2006), die die eigentlichen Hersteller nicht vereinbart haben und für die sich Vertriebspartner wie Medion nicht zuständig fühlen. Dumm gelaufen für den Kunden, wenn eine Serie zwar günstig aber mit erhöhtem Ausschußanteil verkauft wird.

Diese Preiskämpfe auf dem Elektronikmarkt führen zu umweltbelastendeneren Geräten, die nur so lange wie die Garantiezeit halten. Dass auch noch die letzten Elektrogerätehersteller mit ihren Arbeitsplätzen ins Ausland gehen ist nur eine Frage der Zeit. Billig gekauft ist doppelt gekauft.

Quellen:
Deutsche Umwelthilfe e.V.
C't 3/2006: Verramschte Markenware
Demeter
Bioland

2.2 - Blendung der Discounter. Das Aldiprinzip - wirklich ein Verbrauchervorteil?

Discounter werben damit, Kosten damit reduzieren zu können, in dem sie eine schmale Produktpalette anbieten. Tatsächlich ist z.b. die Auswahl an Honigen sehr flach. So hat Aldi-Nord Bienenhonig oder einfach nur Honig (Ist der dann nicht von Bienen?) im Sortiment. Diese Honige sind dann aber nicht etwa eine kleine Auswahl aus einem großen Sortiment, sondern lediglich eine unqualifizierte Zusammenmischung unbekannter Herkunft, die deshalb schon von der Qualifikation her günstig ist. Wenn Aldi ehrlich wäre, dann würde er aus der Vielfalt von Auwald-, Waldhonig, Weistannen-, Raps-, Akazien- oder Wiesenhonig wählen. Dann gibt es noch die nähere Bezeichnung der Herkunftsgebiete, z. B. Schwarzwald. Das wäre dann wirklich eine geschmälerte Produktpalette.

Aldi-Nord wirbt wörtlich mit folgendem Satz (Aldiprinzip) "Wir kaufen von leistungsstarken Lieferanten. In so großen Mengen, dass wir die Qualität bestimmen, die Frische garantieren und selbstverständlich günstiger einkaufen als alle, die weniger davon kaufen." Siehe Aldi-Nord: Das Aldi-Prinzip. Da fühlt sich doch der Kunde geschmeichelt, wenn er solche Vorteile direkt weitergereicht bekommt. Tatsächlich wurde auch für die KW 19/2006 die Preissenkung Imkerbienenhonig von 1,29 auf 1,09 und der normale Honig von 1,39 auf 1,19 Euro angekündigt.

Was hier als Honig verkauft wird ist nichts besonderes.
Beim Honigtyp "Bienenhonig" wird durch Mischen unterschiedlicher Honige ein durchschnittlicher Geschmack für die breite Masse erreicht. Der meiste in Deutschland verkaufte Honig kommt nicht von deutschen Imkern. Die Herkunftsangabe auf dem Etikett „Nicht-EG-Länder“ kann alles sein. Bei Aldi-Nord ist es Südamerika.

Ein Vororttermin des Autors dieses Dossiers in einer Filiale von Aldi-Süd in Karlsruhe (Waldstraße) am 3.2.2007 zeigte folgende kleine Palette:
Bienenhonig, klar, 500g für 1,09 Euro aus EG - und Nicht-EG-Ländern
Imkerhonig, streichzart, cremig, 500g für 1,19 Euro aus Nicht-EG-Ländern
Wald- /Wildblütenhonig, klar, 500g für 1,49 Euro aus Nicht-EG-Ländern
Sämtliche Honige konnten also keine genaue Region, Land oder Kontinent angeben, 1 Honig konnte aus der ganzen Welt, 2 Honige aus dem größeren Teil davon sein. Es gibt wenige Wahlmöglichkeiten zwischen streichzart/cremig und klar oder zwischen Waldhonig, Wildblütenhonig und gemischter Honig.

Macht man sich über das Aldiprinzip einmal mehr Gedanken und fragt sich, ob derartige Preissenkungen normal sind, kommt man zum Schluss, dass früher oder später die negativen Auswirkungen auf einen selbst zurückfallen.
Aldi kann als Großabnehmer mit großem Marktanteil den Preis diktieren und Produktionsgemeinschaften niedrige Preise abpressen. Da nur große Mengen abgenommen werden, muss auch in Masse produziert werden. Insgesamt haben dadurch also weniger Produzenten mit weniger Angestellten weniger Umsatz. Und der Staat bekommt weniger Steuern und die Krankenkassen weniger Beiträge und der Verbraucher weniger Qualität. Die Vielfalt wird hier nicht unterstützt, kleinere Produzenten mit selbständiger Vermarktung wird keine Chance gegeben. In kleineren Einheiten produzierten Dinge ist insbesondere bei Lebensmitteln besser (u.a. Sortenreiner, mehr Sorgfalt, weniger Verschnitt). Auch ist hier der Druck auf die Natur geringer und gewachsene Strukturen bleiben erhalten.

Gerechterweise muss an dieser Stelle gesagt werden, dass durch die Bank weg in Supermärkten und Discountern erhältliche Honige verschiedener Preisklassen und Marken / Nonames sowohl gute als auch schlechte Noten in Tests erhalten. Auch teurere Honige um die 5 Euro pro 500 g kommen aus Südamerika und sind nicht immer sortentypisch. Generell schneiden aber die eher billigen Honige schlechter ab. Mal konnten Rückstände von Phenylacetaldehyd herausgeschmeckt werden, was zur Vertreibung von Bienen eingesetzt wird. Die Sorgfalt der Honigernte kann hier also unterschiedlich sein. In zwei Supermarkthonigen waren das als Krebs erregend geltende Antibiotikum Nitrofuran enthalten. Rückstände gleich welcher Art gab es in keinem einzigen getesteten deutschen Honig. Die einzigen Abstufungen für die deutschen Honige gab es wegen Sortenunreinheit. Wenn bei den Discountern etwas billig ist, dann ist das Preisniveau oft nur die Anpassung an die Herkunft und geringe Wertigkeit des Produkts und eben kein Schnäppchen.

Wer auf Nummer sicher gehen möchte, kauft keinen in breiter Masse verkauften Honig, egal ob vom Supermarkt oder Discounter. Es gibt auf Wochenmärkten, Weihnachtsmärkten oder kleinen Geschäften wie Bäckereien oder Spezialitätengeschäften oftmals Gelegenheiten Honige eines einzigen Imkers zu kaufen. Hier kann man direkt fragen, welche Verfahren angewandt wurden und wo die Bienenkörbe stehen. Man kann Garantien für rauchfreie Honigernten, handwerkliches Geschick bei der schonenden Honiggewinnung und sorgfältige Auswahl der Bienenstandorte bekommen.

Honigtests:
Öko-Test Nr 10/2005: Einfach goldig
Stiftung Warentest 4/2004: Honig - kein reiner Genuss

2.3 - Der Druck auf die Produzenten

Ein weiteres hier passendes Beispiel ist die angespannte Lage bei Milchbauern. Hier gibt es ebenfalls seit Jahren einen rückläufigen Preis für den Liter Milch. Es besteht kaum noch Chancen für kleine Betriebe, die sich in eine abwechslungsreiche kleinstruktierte Kulturlandschaft mit Grünland einfügen können. Hiermit entsteht Schaden für Mensch und Natur, weniger Arbeitsplätze.
Die niedrigen Preise werden durch ein auspielen der Molkereien durch die Discounter als Großabnehmer erreicht. Da die Discounter einen großen Marktanteil bedienen, können große Molkereien nicht auf diesen Markt verzichten. Im konkreten Fall wollte eine Molkerei in der Eifel bei Verhandlungen mit Aldi im Jahr 2004 für ihre 3000 Genossenschaftsmitglieder 7 Cent mehr rausschlagen, da sie schon an der existenziellen Schmerzgrenze arbeiten. Zustande kam ein Kuhhandel, wonach die Molkerei ihre Milch an Aldi zwar um einen Cent günstiger verkaufte als im Jahr zuvor, Aldi im Gegenzug jedoch 10% mehr Milch abnahm. Der Discounter Aldi hat damit die Überproduktion im Milchmarkt noch mehr angeheizt, was wiederum die Macht der Discounter auf dem gesättigtem Milchmarkt stärkt. Im Frühjahr wird der Milchpreis mit den Discountern ausgehandelt- irgendeine Molkerei fällt immer um.

In den letzten Jahren wurden zahlreiche städtische Schlachthöfe geschlossen, weil sie sich nicht mehr rentieren. Früher fuhren Landwirte des Umlands ihre Rinder und Schweine zum schlachten. Die Tiere kamen ausgeruht an und dem Fleisch merkte man kein Stress an. Deutsche Schlachter wurden angemessen bezahlt. Ende 2006 musste auch der Schlachthof Karlsruhe schließen, wo Landwirte aus dem nur 30 km entfernten Nordschwarzwald ihr Tiere schlachten lassen konnten.
Im "Geiz-ist-geil"-Zeitalter werden Mastfabriken in Niedersachsen für tausende von Schweinen geplant, Schweine in Nordrhein-Westfalen gemästet und geschlachtet und in Thüringen zu "Ja"- und anderer Wurst verarbeitet. Statt sich Hackfleisch tagesfrisch vom Metzger zu kaufen, wird es für 2 Euro -wenige Cent über dem Schlachtpreis- verkauft.
Zwischen einem und 1,60 Euro liegt der Preis für das Kilo Schlachtgewicht. Davon kann selbst ein Mastbetrieb mit 1000 Schweinen kaum leben. Der Schlachthof hat grad mal 1 Euro Gewinn pro Schwein. 2003 haben 16% von 109000 deutschen Mästern aufgegeben.
Auch die schwindende traditionelle Rinderhaltung gefährdet Arbeitsplätze und Kultur. Einst weideten Rinder unter Streuobstwiesen, die mit ihrem Artenreichtum die Dörfer umgaben. Außerdem lieferten sie Äpfel für Apfelsaft, der heute aufwändig billigst aus Konzentrat aufgeschwemmt und inzwischen sogar aus China importiert wird. Regionale Initiativen und Keltereien bieten Saft aus der direkten Presse an. Da schmeckt man den Sommer.

Quellen:
Stern 4/2005: Aus der Serie "Der große Ernährungsreport" - Fleisch
Stern 5/2005: Aus der Serie "Der große Ernährungsreport" - Milch
BNN, 14.1.2006: Samstagsreportage über den Schlachthof Karlsruhe

2.4 - Niedergang der Qualität bei Handwerk und Kultur

Inzwischen gibt es sogar Discountbäcker. Angepasst an die geringen Ansprüche der Käufer gibt es dort Prebackware, also Fertigteiglinge, die zum Teil in Osteuropa hergestellt wurden in der Filiale beim Aufbacken einen pseudofrischen Duft verströmen. Angepaßt an den harten Preiswettbewerb lernen viele Bäcker nur noch mit Fertigteigmischungen umzugehen. Dieser Preisdruck wird auch auf die Landwirtschaft weitergegeben. In der Intensivlandwirtschaft schwinden Hecken, Raine und Obstbäume als landschaftbestimmende und vor Erosion schützende Elemente. Aber es gibt Hoffnung. Regionale Erzeugergemeinschaften setzen sich für gentechnikfreie Zonen, ungespritztes Getreide, Blühstreifen am Ackerrand, Verarbeitung in regionalen Mühlen ein. Bäcker backen wieder mit Natursauerteig.

Der Kraichgau ist eine über jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft nordöstlich von Karlsruhe. Beste Lößböden und mildes badisches Klima reichen trotzdem nicht aus, den Landwirten in den Aussiedlerhöfen für ihr eigenes Brot zu sorgen. Die Höfe kämpfen ums überleben.Da hilft es auch nicht, wenn man zusätzlich zum Ackerbau noch 300 Schlachtschweine hält. Manche Landwirte im Kraichgau füttern jetzt eben Biogasanlagen mit Mais und Rüben und dem Mist ihrer restlichen Schweine, wenn sie ihr Schweinefleisch nicht mehr losbekommen.

Bei einem weltweit gehandelten Produkt wie Getreide spielt es keine Rolle, wieviel Euro ein Familienbetrieb zum überleben braucht und woher das Getreide kommt. Da kann nur der Verbraucher selbst fordern, woher und von wem er landwirtschaftliche Produkte haben möchte. Die Preise sind so niedrig, dass die Bauern auf Förderprogramme der EU angewiesen sind. Zur Entwicklung des ländlichen Raumes in Baden-Württemberg gab es zwischen 2001 und 2006 von der europäischen Union 801 Millionen Euro. In der nächsten Förderperiode bis 2013 sollen es nur noch 427 Mio. sein. 2005/ 2006 haben 2000 Höfe im Südwesten aufgegeben. Höfe, die unsere wertvolle Kulturlandschaft durch Bewirtschaftung pflegen und so Lebensraum für Tiere und Pflanzen und Erholungs- und auch Lebensraum für Menschen schaffen. Der Bilderbuchschwarzwald der Schwarzwaldklinik wäre ohne die vielen Familienbetriebe nicht so wie er ist. Zudem sollen Förderungen für Landschaftspflege (z.b. Schaffung von Grünland, Wiesenmad) und Bewirtschaftung von Höhenlagen gestutzt werden.
Nur noch 12% ihres Einkommens geben die deutschen Verbraucher für Lebensmittel aus; in den 70er Jahren waren es noch knapp 30%. Die niedrigen Preise zwingt die verbleibenden Höfe zu wachsen. Im Landkreis Karlsruhe nahm zwischen 1979 und 2003 die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe von knapp 3000 auf 1000 ab. Die Verdienstmöglichkeiten bleiben trotz wachsender EU-Bürokratie und betriebswirtschaftlichem Geschick nur etwas über Arbeiterniveau. Arbeitsplätze nehmen ab. Im Landkreis Karlsruhe nam in den beobachteten 25 Jahren die bewirtschaftete Fläche zwar nicht ab, aber der Druck zur effektiven industrialisierten Nutzung dieser Flächen wächst.

Bei den Metzgereien findet sich noch eine Vielfalt an Rezepturen für die vielen feinen Wurstwaren. Anders als die abgepackte Kühlregalware sind diese gewöhnlich fettärmer, sie schmecken von Metzgerei zu Metzgerei unterschiedlich. Jede Metzgerei kennt dabei noch ihre eigenen Spezialitäten. Mit der Jahreszeit gibt es auch spezielle Ideen für Fleischgerichte. Viele Metzgereien beziehen ihr Fleisch direkt von "ihren" Bauernhöfen, bei denen sie genau über die Qualitätsmerkmale Bescheid wissen und dies den Kunden weitergeben können. Z. B. Futter aus regionalem Anbau, antibiotika- und tiermehlfreie Fütterung.

Beim Wein ist es nun schon so weit gekommen, dass sich der Discounter Lidl im Oktober 2006 Wein-Testsieger nennen durfte. Man mag es kaum glauben, aber es gibt tatsächlich eine Discount Bundesliga im Weinverkauf. Der alte Herr Öchlse würde sich im Grabe umdrehen, wären seine Knochen nicht schon längst verfallen. Da spricht Herr Laible, Jungwinzer des Jahres 2006, "Die Demut vor dem Wein ist wichtig. Man muss ihn behandeln wie ein kleines Kind. Das fordert und fördert man und lässt es ja auch nicht fallen". Die Kunst des Rebschnitts und des Ausbaus lassen individuelle Weine entstehen. Harte Arbeit in Steillagen, Verbundenheit mit dem Weinberg und schonender Pflanzenschutz ergeben eine Harmonie von Natur und Mensch. Die Weinpreise lassen jedoch vielerorts den Wunsch aufkommen, die Landschaft für einen optimalen Maschineneinsatz zu modellieren. Trockenmauern verschwinden, breite Asphaltwege durchziehen die Weinberge.

Der Titel für Lidl hinkt. Er ist eine Verbrauchertäuschung Im Wettbewerb standen nicht etwa verschiedene Weinhäuser und Discounter, sondern nur Discounter. Das Weinfachmagazin "Weinwirtschaft" zeichnete Lidl lediglich im Rahmen der Lebensmitteleinzelhandelsverkostung Discount 2006 zum Jahres-Testsieger aus. Darunter sind so vielsagende Weine wie "2005 Spätburgunder Rotwein Baden Qba" für 1,99 statt 2,99, "Riesling Qba Pfalz" für 1,49 statt 1,99, "2005 Pfalz/ Rheinhessen Dornfelder Rosé Qba" für 1,49 statt 1,99, "Montepulciano d'Abruzzo DOC Cerasuolo Rosé" für 0,99 statt 1,49, "Chianti DOCG Rotwein" für 1,29 statt 1,79, "Südafrika, Pinotage Rotwein" für 1,99 statt 2,59, ...... (0,75 l Flaschen).

Quellen:
BNN, 5.1.2006: Energie aus Schweinemist und Senf - mit Bioenergie überleben
BNN, 10.1.2006: Gegen den Mais waren die Wiesen chancenlos
BNN, 10.2.2006: Brüssel spart: Droht nun ein neues Bauernsterben?
BNN, 2.10.2006: Kreisbauernverband - Absage an Geiz-ist-geil-Mentalität
Lidl Anzeige vom 6.10.2006
BNN, 16.11.2006: Die Bauernhöfe wachsen oder weichen
BNN, 24.12.2006: Der Jungwinzer des Jahres will bald so richtig Gas geben

2.5 - Wer hat am längsten offen? / Personalabbau im Handel

Was die Erzeuger drückt, drückt auch die Angestellten und Händler. Auch Sie leiden unter dem Preisdruck. der sich noch mit immer längeren Öffnungszeiten verschärft.
Mit der Fußball- WM war die Diskussion um ein 24-Stunden-Shopping neu entbrannt. Man konnte grad meinen die Erbtante kommt zum Sonntagskaffee und alle mussten geschniegelt und gebügelt antreten. Polizisten mussten einheitlich aussehen und Berliner mussten das lächeln lernen. Und natürlich brauchte man zur WM ein 24 h Shopping. Nun sind in einigen Bundesländern die Ladenöffnungszeiten frei wählbar. Ob man in kleinen Geschäften oder großen Kaufhäusern kaufen geht - schon zuvor hörte man von den Verkäufern, das es insbesondere für sie und auch für die Händler selbst keinen Vorteil bringt. Die Kundschaft trudelt eben später in den Laden ein. Aber es wird nicht mehr gekauft, da es nicht mehr Geld zum ausgeben gibt. Geschäftsinhaber haben später Feierabend und die Verkäufer haben mangels Neueinstellungen eine größere Verkaufsfläche zu betreuen. Dabei kann vieles, gerade Lebensmittel auch vor der Arbeit oder in der Mittagspause erledigt werden. Die Weitergabe von Kosten durch längere Öffnungszeiten an die Kunden kann sich kein Händler erlauben.
Längere Öffnungszeiten haben bisher nur den großen genutzt. Denjenigen, die sich mit großer Werbung, billigen Angeboten, leichter Erreichbarkeit auf der grünen Wiese und langen Öffnungszeiten in den Vordergrund drängen. Das soll angeblich kundenfreundlich sein. Kundenfreundlich ist es aber auch, wenn man nicht von einer nichtswissenden Aushilfepraktikantin bedient wird, mit verkäuferischen Empfehlungen wie "Ja das ist bestimmt gut". Früher ging es mit kürzeren Öffnungszeiten, weil man sich eben mit den Gegebenheiten arrangiert und nicht nur gefordert hat.

Längere Öffnungszeiten sollen den Wettbewerb fördern. Insbesondere spekulieren Städte damit, sich damit gegenüber dem Umland profilieren zu können. Es soll also nichts anderes erreicht werden, als Kundschaft abzuziehen. Des einen Freud des anderen Leid. Diese angebliche Stimulierung des Wettbewerbs könnte am Ende auch zum Herzinfarkt führen.

In den vergangenen 4 Jahren wurden prozentual 6% mehr Verkaufsfläche geschaffen, bei gleichzeitigem Umsatzrückgang von 3%.
12% Vollzeitjobs wurden gestrichen, bei gleichzeitiger Schaffung von Teilzeitjobs von nur 4%.
Daraus folgt weniger Arbeitskräfte für mehr Fläche in längeren Öffnungszeiten bei nahezu konstanten Löhnen.

Der massive Personalabbau der Lebensmittelbranche ging in den vergangenen Jahren vollständig zu Lasten der Vollzeitstellen. Die Teilzeitjobs nehmen zu. Für stabile Beschäftigungsverhältnisse, existenzsicherndes Einkommen und planbare Arbeitszeiten ist kein Raum in einer Arbeitswelt mit immer späterem Ladenschluss bei gleichzeitig früher Ladenöffnung.

In den Medien wurde der Fall Calw illustriert, wo von einer Minute auf die andere nach Ladenschluss eine Lidl-Filiale geschlossen wurde, weil die Mitarbeiter (rund 1000 Euro Brutto im Monat) unerhörterweise gedenkten, der Gewerkschaft beizutreten. Die Arbeitsbedingungen in Discountern lassen zu wünschen übrig. Artikel müssen in bestimmter Schlagzahl über den Scanner gezogen werden, es gibt Dauerberieselung von Videowerbung.

Vor dem Hintergrund des Konkurrenzdrucks verwundert es auch nicht, wenn der Handel über ein schlechtes Weihnachtsgeschäft 2005 klagte. Wie soll es denn auch gut sein? Selbst wenn mehr gekauft wird - wenn in der Masse nur billigstes und knappst kalkuliertes gekauft wird, kann dies den Umsatz oder gar die Gewinne kaum steigern. Ohnehin bringt es dem Handel wenig wenn Metro oder Saturn die Gewinne einstreichen.

Die Zeit Nr 47/2005: Alle unter Kontrolle - bei den Discountern regieren die Patriarchen.
BNN, 24.11.2005: Wegfall des Ladenschlussgesetzes - Nur die Großen werden profitieren
BNN, 14.2.2006: Zur Fußball-WM auch verkaufsoffene Sonntage?

2.6 - Geiz ist geil hat auch die Dienstleister erwischt

Die Geiz-ist-geil-Mentalität hat mittlerweile auch bei den Dienstleistern Einzug gehalten. Neben in kleinen Zimmern zusammen wohnenden polnischen Fließenlegern hat dies dazu geführt, dass auch Discount-Frisörsalons wie Pilze aus dem Boden schießen. Von 66000 Salons gehört mittlerweile jeder sechste zu einer der Discountketten (Stern N2 52/2005). Man tritt hier nicht mit Qualität und angemessenen Preis in den Wettbewerb, sondern allein mit Tiefstpreisen. Zu verdanken hat man dies der Lockerung des Meisterzwangs für Friseure durch die SPD-Schröder-Regierung. Jeder Salonbesitzer kann danach einen Meister einstellen, der mehrere Salons betreuen kann. Traditionsbetriebe schließen massenweise, neue Filialen säumen die Straßen beidseitig.

Wie im Handel steuert das Wachstum der Frisör-Discounter nicht zum Wachstum des Umsatzes bei. Dies veranschaulicht folgender Gedankengang

Umsatz = Preis * (Summe der verkauften Artikel, erbrachten Dienstleistungen).
Wenn der Preis schneller sinkt als die Stückzahl steigt, sinkt der Umsatz. Der Staat bekommt weniger Steuern, Löhne sinken, Sozialkassen bekommen weniger Beiträge. Es entsteht ein enormer Schaden für Staat und Gesellschaft. Das Frisörhandwerk verzeichnete im Jahr 2004 ein Minus im Umsatz von 2,5 Prozent.

Phänomene wie bei den Discountern des Handels findet man auch im Frisörhandwerk:

Erhöhung der Schlagzahl. Äquivalent zur Erhöhung der Verkaufsfläche pro Angestellten und Verschiebung der Arbeitszeit in den Abend durch lange Öffnungszeiten im Handel müssen mehr Kunden pro Stunde bedient werden. Dies führt zu Stress und Gesundheitsproblemen.

Wo anderswo Billigfleisch aus Fleischfabriken angeboten wird, bekommt man eben eine Billigfrisur, die spezielle Haareigenschaften und Charakter des Frisurenträgers nicht berücksichtigen kann. Hier wie dort bleibt die Qualität auf der Strecke.

Über den Preis angelockte Kunden sparen mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts. Wo anderswo Schnäppchen für Angelausrüstungen und mit Weichmacher belastete Gummiboote die Kunden anlocken und dann neben billiger Milch und belastetem Obst noch dieses und jenes "Schnäppchen" mitnehmen, das eigentlich gar nicht benötigt wird, zahlt man beim Billigfrisör für jede Leistung extra. Auch wenn es nur das Föhnen für 10 Euro ist.

Die Mitarbeiter sind verängstigt. Wortmeldungen an die Innungen unterbleiben aus Angst um den Arbeitsplatz. Wie bei den Discountern des Handels gibt es bei den Ketten keine große soziale Verantwortung wie im Kleinbetrieb. Dies führt auch dazu, dass immer weniger Azubis im Friseurhandwerk ausgebildet werden. Praktikanten werden Lehrlingen bevorzugt. Die sind billiger und sind nicht wegen der Berufsschule abwesend.

Quellen:
Stern Nr 52/2005: Föhn dich selbst

2.7 - Die Billigheimer - Hort einer Sekte?

Aldi, Lidl, Ikea und Baumärkte haben eines gemeinsam: Ihre Kundschaft wird ideenarm. Ideenarm in der Hinsicht, mal zu schauen, was es denn alternativ zu den Sonderangeboten in regulären Fachgeschäften gibt. Was für Merkmale die Produkte denn überhaupt haben können. Stattdessen geben sie sich mit dem zufrieden, was die Billigheimer anbieten und glauben, dass Ihnen ihr Billigheimer was besonders gutes offeriert, was genauso gut ist wie anderswo auch ist. Doch verscherbeln Produzenten wirklich immer ihre besten Sachen bei den Billigheimern für diese Kundschaft?

Hier kann eine tatsächlich erlebte Szene in einem Karlsruher Biergarten diese These erläutern:
Ein Pärchen läuft etwas gehetzt an einem bekannten Pärchen am Biergartentisch sitzend vorbei. Es ist früher Abend am Samstag um 18.30: "Hach wir laufen jetzt schon so lange rum und haben keinen Grill gefunden, selbst der Lidl hat keinen mehr."

Gibt es wirklich keine Alternativen zu Lidl, Aldi , Baumärkten und IKEA? In Karlsruhe gibt es beispielsweise Hammer & Helbling. Dieses inhabergeführte Haushaltswarengeschäft, eines der letzten seiner Art, kann mit der Angebotspalette von Holzkohlengrills überraschen.
Grills kann man also tatsächlich nicht nur bei Aldi, Lidl, Baumarkt oder IKEA kaufen. Hier gibt es Stahlgrills, die nicht wackeln, mehrfach verwendbar sind. Es gibt pfiffige Konstruktionen, bei denen man nichts schrauben muss, die rollbar und leicht zusammenklappbar sind. Hammer & Helbling offeriert z.b. Grills von Heibi-Metall Birmann GmbH. Abgesehen davon, dass diese Firma bei Hammer & Helbling mit ihrem eigenen Namen ihre Grills an den Mann / Frau bringen und mit einem angemessenen Preis was für ihren Umsatz bekommen kann, hat der Käufer ein Produkt in der Hand, das in eigenen Produktionsstätten in Deutschland gefertigt wurde. Handwerkliches Können, Design und hochwertige langlebige Materialien stellen die Massenblechgestelle in den Schatten.
8.1.2007: Die obigen Sätze stammen aus dem Jahr 2006. Inzwischen ist 2007 und Hammer & Helbling hat gerade den Totalräumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe abgeschlossen. Hammer & Helbling in Karlsruhe gibt es nicht mehr.

Die Billigheimer werden also von ihren Kunden gepriesen und hochgehalten, alles andere wird als teuer, als Abzocke eingestuft. Die Billigheimer werden als vollkommend ausreichend und alles erfüllend empfunden. Blühendes städtisches Leben und Dorfgemeinschaften erübrigen sich mit diesem vollkommenen Ersatz. Der Gedanke, dass dies langfristig an der Buntheit eines Staates nagt, kommt nicht auf. Stattdessen putscht man sich auf, indem bei jedem gekauften Produkt voller Inbrunst der Satz "Habe ich bei Aldiii gekauft" gesagt wird und damit Bewunderung von seiner Hörerschaft ob der tollen Einkaufskünste erwartet. Nicht dort Kaufende werden mit diesem einen Satz als zurückgeblieben abstempelt.

Man könnte schon meinen, dass es sich hier um eine Sekte handelt, die den Bauernfängern erlegen ist.

2.8 - Empfehlungen - Geiz ist geil an der Wurzel packen

Nach all diesen Ausführungen, warum Geiz und ungeregelter Wettbewerb der Privatwirtschaft, dem Staat und den Bürgern schaden folgen nun Empfehlungen zur Bekämpfung der Ursachen:

Weniger ist mehr. Man muß nicht alles haben, vorallem wenn vielfach mehr gekauft wird als eigentlich benötigt wird. Von 10 billigen Teilen hat man oft weniger als von 5 kostspieligeren Teilen. Das gesellschaftliche Ansehen ist nicht von der Menge an besitzenden Gütern abhängig. Auch muss es nicht immer was eigentlich wertvolles sein, das dann aber wiederum möglichst billig erstanden wird. Beispielsweise muss es nicht immer natives Olivenöl extra von Aldi sein, man kann auch mit dem von Natur aus günstigeren Rapsöl Speisen sehr schmackhaft zubereiten. Ab und zu kann man sich dann ein feines Olivenöl leisten.
Zurück zu den Wurzeln und streben nach einem geordneten Leben.
- Statt Sparen an den Zutaten, sparen durch richtiges Kochen möglichst ohne Zusätze und Fertigpackungen. Sparen durch gut bestückte Küche und vorkochen.
- Slow Food
- Vollwertige Ernährung, mit den Jahreszeiten leben. Frisches und Regionales kaufen.
- Die regionale Küche kennt oft gesunde, schmackhafte und dennoch sparsame Speisen.
Freude im Kleinen. Einkauf beim Händler verschafft Vertrauen und gibt Gefühl mit der Welt im reinen zu sein. Es macht nicht unbedingt glücklich, was besonders billiges erstanden zu haben, sondern was Gutes, was besonderes zu haben.
Interesse am eigenen Lebensbereich entwickeln. Produkte aus der Region und einkaufen im Ort ist eine Investition in den eigenen Lebensbereich. Die Heimatstadt und ihre Umgebung sind als Mikrokosmos zu betrachten, den es zu hegen und zu pflegen gilt und vor den Auswüchsen der Raffgier zu bewahren gilt.
Zum Beispiel den Markt mit den Obst- und Gemüsehändlern, die von ihren Feldern ernten, Felder, die ohne Landwirtschaft womöglich zu Bauland werden.
Über den Gartenzaun schauen. Sprüche, wie "man muss schauen wo der Pfennig (bzw Cent) bleibt", offenbaren meist nur Abschottung nach außen, schützen des eigenen Bereichs hinterm Gartenzaun. Dabei hätten hunderttausende von Familien mehr Geld in der Tasche, wenn nicht immer nur nach dem billigsten geschaut werden würde. Mehr Bereitschaft, sich mit Dingen zu arrangieren (mit weniger Gegenständen auskommen, man muss nicht alles haben), mehr Tatkraft sich in normalen Läden umzuschauen und nach Alternativen suchen statt flink mit dem Auto zum Gewerbegebiet mit Superdiscounter und Ramschmöbelhändler zu fahren kann die Sichtweite weit über die Grenze des Gartenzauns steigern.
Die Hörigkeit und unkritische Haltung gegenüber Billigheimern abbauen. Vielfach werden Mängel der Produkte bei Discountern wegen des billigen Preises toleriert, während der Preis eines gescheiten Produktes vom Fachgeschäft als Wucher und teuer empfunden wird. Ist es nicht aber eher Wucher, wenn der billige Backautomat seine Teflonbeschichtung bald an den Teig abgibt und das Fleischfabriksteak nach dem Braten nur noch halb so groß und das enthaltene Wasser verdampft ist?
Urlaub nehmen statt längere Öffnungszeiten fordern. Ein Kurzurlaub im Heimatort kann sehr schön und erholsam sein. Während andere arbeiten müssen kann man mal seine Stadt an einem Werktag kennenlernen und ausgeruhte Verkäufer an einem Vormittag antreffen.
Begrenzung der Ladenfläche pro Unternehmen/Konzern/Firmengeflecht auf unter 200.000 qm und Festlegung der maximalen Anzahl von Filialen auf 80 Stück. Dies begrenzt die Einflussnahme auf Produzenten. Nahrungsmittelbetriebe müssen dann nicht unendlich groß sein, um einen Filialisten zu bedienen. Weniger große und dafür mehr Produzenten können ihre Ware an mehrere Unternehmen verkaufen.

3 - Wachstum einzelner Unternehmen ist kein Garant für Wirtschaftswachstum

/ Der Börsengang ist nicht der Königsweg / zu viele Berater im Land

3.1 - Wie das Wachstum einzelner Unternehmen die Wirtschaft schrumpfen lässt

Im Einzelhandel gibt es einen großen Drang zum Wachstum einzelner Unternhemen. Die Börse jubelt, wenn Unternehmen wie die Douglas Holding AG wachsen und jammert, wenn einzelne Teile schwächeln. Zur Douglas Holding AG gehören u.a. die Parfümerien Douglas, Juweliere Christ, Buchhandlungen Thalia, und der Schokoladenverkäufer Hussel. Gerade die Bereiche Parfümerien, Schmuck, Buchhandel und Konditorhandwerk sind traditionell auch von inhabergeführten Geschäften besetzt. Diese Kleinunternehmer finden es in Ordnung, wenn es Gewinne gibt und ab und zu auch ein bißchen mehr. Es gibt jedoch keinen Plan für eine jährliche Steigerung der Gewinne von mehreren Prozent. Das wären Luftschlösser. Für ein an der Börse notiertes Unternehmen ist jährliches Wachstum unabdingbar, sonst sinkt sein Kurs und wird verkauft. Dieses Wachstum ist zum einen mit der Erorberung von Marktanteilen zu erreichen (ein weiterer Aspekt folgt unten, anorganisches Wachstum). Da der Markt für Parfums, Bücher und Schmuck in der Regel, wenn überhaupt, nicht so stark wächst wie der gewünschte Kurs der Aktiengesellschaften, muss man Kunden anderen Geschäften abluchsen. Filialen müssen vor die Türe etablierter Geschäfte gesetzt werden, und die Preise möglichst günstiger sein. Auch längere Öffnungszeiten können dem dienlich sein, da kleinere Geschäfte bei überlangen Öffnungszeiten nicht mithalten können, große Ketten aber sehr wohl.

"Insbesondere die Douglas-Parfümerien und die Thalia-Buchhandlungen haben ihre renditeorientierte Expansion fortgesetzt und konnten so auch neue Arbeitsplätze schaffen", so Dr. Kreke, Vorsitzender des Vorstandes der DOUGLAS HOLDING AG. Ein netter Satz, der im Februar 2005 formuliert wurde. Er ist nicht mehr so nett, wenn z.b. Buchhändler in Regensburg um ihre Zukunft wegen der Neueröffnung einer 1600 Quadratmeter-Filiale um Gewinneinbußen fürchten und tatsächlich auch kleinere Ketten wie Godrom geschluckt wurden. Von der Schaffung von physikalisch neuen Arbeitsplätzen kann also durch das Wachstum an der Börse nicht die Rede sein.

3.2 - Mathematischer Beweis am Modell

Umsatz ist gleich Preis mal Menge. Angenommen, auf einem Markt können 100 Einheiten verkauft werden und eine Einheit kostet 10 Euro. Eine Einheit kostet dem Händler im Einkauf 2 Euro.
Die Nachfrage ist nicht höher und nicht niedriger.
Wenn ein Unternehmer 100 Euro Umsatz machen möchte, muss er also 10 Einheiten verkaufen. 10 x 10 = 100. Der Gewinn beträgt 80 Euro.
Der Gesamtumsatz aller Unternehmer beträgt 100 x 10 = 1000 Euro. Der Gewinn beträgt 800 Euro.

Nun kann der Unternehmer Kunden anlocken, indem er den Preis runtersetzt, z.b. auf 5 Euro. Er lockt so viele Kunden an, das er nun 20 Einheiten verkaufen kann.
20 x 5 = 100, sein Umsatz bleibt gleich.
- 20 x 2 = 60. Der Gewinn geht um 20 Euro zurück (vorher 80 Euro).
20x5 + 80x10 = 100 + 800 = 900. Der Gesamtumsatz ist um 100 Euro gesunken (vorher 1000 Euro).

Der Unternemer kann mit dem günstigen Preis noch mehr Kunden anlocken. Er verkauft nun 30 Einheiten.
30 x 5= 150. Sein Umsatz ist um 50% gestiegen.
30x5 + 70x10 = 150 + 700 = 850. Der Gesamtumsatz aller Unternehmer ist nochmals gesunken. Bei Frau Christiansen wird daraufhin heftig über die schlechten statistischen Werte diskutiert

Durch seine Vormachtstellung kann der Händler die Preise im Einkauf auf 1 Euro drücken.
150 - 30 x 1Euro = 120 Euro Gewinn (+50% gegenüber 80 Euro).
Der Händler mit den 5-Euro-Teilen kann es sogar verkraften, 25 Euro für längere Öffnungszeiten aufzubringen und dann immer noch 25 mehr Umsatz (125 Euro) und 15 Euro mehr Gewinn (95 Euro) als vorher machen. Wegen der schlechten Wirtschaftszahlen werden jedoch die Wirtschaftsweisen und McKinsey Opfer vom Volk fordern.

Genau das ist das Problem, das die Billigheimer und Ketten mit sich bringen. Lidl, Aldi, MediamarktSaturn, Douglas & Co wachsen auf Kosten anderer. Der Gesamtumsatz im Einzelhandel sinkt. Der Staat hat weniger Steuereinnahmen, die Sozialkassen bekommen durch niedrigere Gehälter und weniger Angestellten niedrigere Beiträge.
Wo nur noch der Preis entscheidet, macht die Konkurrenz dicht. Der Handel konzentriert sich immer mehr auf große, billig und schnell hochgezogene Märkte, die einem Großeinkauf dienlich sind.

Zu einer Umsatzsteigerung tragen sie nicht bei. Vielmehr führt die Umsatzsteigerung einiger weniger Unternehmen zur Minderung des Gesamtumsatzes. Sie wachsen auf Kosten anderer. Ihr Wachstum kommt nicht aus eigener Kraft wie etwa mit der Schaffung von neuen Produkten und Auffüllung von Marktlücken.

3.3 - Beispiel Douglas Holding AG: Ausspielen von Macht; Rückgang des Umsatzes bei der Konkurrenz

Dass die Unternehmensgröße Vorteile gegenüber der Konkurrenz durch Ausnutzung von Stärke beim Einkauf verschafft zeigt folgendes Zitat aus der Mittelbayersichen Zeitung vom 6.2.2005.
" Die Buchpreisbindung sorgt zwar dafür, dass es überall die gleichen Verkaufspreise gibt. Doch in Wirklichkeit sind die Konditionen für die einzelnen Buchhandlungen sehr unterschiedlich. Die großen Ketten fordern beim Einkauf immer höhere Rabatte. Thalia hatte von Verlagen sogar Kostenbeteiligungen für Umbauten und Neueröffnungen von Filialen gefordert."

Im Jahr 2005 stieg laut statistischem Bundesamt, Ergebnisse zum Einzelhandelsumsatz 2005, der Umsatz im sonstigen Facheinzelhandel (z.B. Bücher, Schmuck) nominal um nur 0,1% und nahm real um 1,3% leicht zu.
Die Zahlen der Douglas Holding AG sehen anders aus.
"In Deutschland stiegen die Umsätze in 103 Buchhandlungen um 9,7% auf 124,5 Millionen Euro. .... Im Geschäftsbereich Schmuck hat die Kernmarke Christ ihre Marktführerschaft in Deutschland weiter gestärkt. .... Die Umsätze in den 191 Christ-Juweliergeschäften stiegen in einem schwachen Branchenumfeld um 0,8% auf 98,4 Milllionen Euro."
Die Thalia - Gruppe soll durch Neueröffnungen und Kauf lokaler Buchhandlungen weiter wachsen. Was ist das für ein Wachstum, für was und wen?

Der Parfümerieverband meldet für 2005 folgende Zahlen (www.parfuemerieverband.de):

Der Parfümerie-Einzelhandel 2005 in Zahlen
UmsatzVorjahr
Umsatzentwicklung Wert
Menge
+ 0,3 %
+ 0,7 %
- 0,5 %
+ 0,3 %
Gesamtumsatz 2,48 Mrd. Euro 2,47 Mrd. Euro
Anzahl der Geschäfte 2.800 2.850
Anzahl der Mitarbeiter
- davon Auszubildende
17.500
1.900
17.000
1.800
Marktanteil
Filialunternehmen, Warenhäuser
Inhabergeführte Parfümerien
54,0 %
46,0 %
53,5 %
46,5 %

Von der Douglas Holding AG gibt es für die 417 Douglas-Parfümerien in Deutschland folgende Zahlen:
- Umsatzzuwachs um 1,4% auf 288,3 Millionen Euro
- Zugewinn weiterer Marktanteile und damit Ausbau der Marktführerschaft.

1,4 % entsprechen 4 Millionen Euro mehr Umsatz. Der Gesamtumsatz stieg im Vergleich zu 2,47 Mrd Euro im Vorjahr um nur rund 7,4 Millionen Euro (=0.3%).
Das zeigt mathematisch eindeutig belegbar, dass der Umsatzzuwachs eines großen börsennotierten Unternehmens in einer Sparte einen entsprechend großen Gewinnzuwachs aller Unternehmen dieser Sparte nicht ermöglicht. Der Beweis wird erhärtet dadurch, dass die Zahl der Geschäfte um 1,8% auf 2800 zurückging und der Marktanteil der inhabergeführten Parfümerien zurückging. Für sie hat sich das Geschäft offensichtlich nicht mehr gelohnt, wohl aber für die Filialunternehmen und Warenhäuser.

3.4 - Statistiken + Prognosen für den Lebensmittelhandel und Elektronikmarkt

über das irrsinnige Wachstum bei den Baumärkten

Im Bereich Lebensmittel sieht es ähnlich aus (Januar 2006):
Im Einzelhandel mit Lebensmitteln, Getränken und Tabakwaren wurde im Januar 2006 nominal 1,8% und real 0,3% mehr als im Januar 2005 abgesetzt. Die Supermärkte, SB-Warenhäuser und Verbrauchermärkte erzielten einen realen Umsatzzuwachs von 0,4%, während der Facheinzelhandel mit Lebensmitteln, Getränken und Tabakwaren einen realen Umsatzrückgang in Höhe von 0,8% hinnehmen musste.
Auch hier ging also der Umsatzzuwachs der Großen auf Kosten der Kleinen und insgesamt gab es ein geringeres Wachstum als das der Großen.

Diese These wird auch durch Zahlen des ifo-Institus für November 2005 untermauert. Danach zeigte sich der Lebensmitteleinzelhandel pessimistisch für das Weihnachtsgeschäft 2005, da im Vergleich zum Vorjahr die Umsätze gesunken waren und die Preise nachgegeben hatten. Höhere Preise konnten nicht durchgesetzt werden, was einen Stellenabbau beschleunigt. Während bestimmte Ketten (z.b. MediaMarkt) für Unterhaltungselektronik stetig wachsen, blickt der Einzelhandel für Unterhaltugselekronik skeptisch in die Zukunft.
Nach Einschätzung des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels war sogar zum vierten Mal in Folge ein Umsatzminus im gesamten Einzelhandel zu erwarten. Dies obwohl der Einzelhandel im Jahr 2000 nach sieben!! mageren Jahren Aufwind sah. Aber schon damals verwies HDE-Präsident Franzen auf den wachsenden Druck durch die Discounter. Durch ihre Ausbreitung gingen mehr Arbeitsplätze verloren, als neue geschaffen würden, da sie deutlich weniger Mitarbeiter benötigten als klassische Filialbetriebe.

Dass Wachstum irgendwann einmal seine Grenzen hat, zeigt eine Meldung von Lausitzer Rundschau online über die Preisschlacht der Baumärkte. Danach sei der Markt gesätttigt und Umsatzzuwächse nur noch im Ausland erreichbar. In den vergangenen Jahren wurde immer mehr Verkaufsfläche gebaut. 2005 gab es 12 Millionen Quadratmeter Verkaufsfläche. Und obwohl Deutschland die höchste Dichte an Bau- und Heimwerkermärkten hat, 2005 lediglich 1,4 Prozent mehr Umsatz als im Vorjahr erwirtschaftet wurde, der Preiskampf härter denn je ist, Geranien unter einem Euro gehandelt werden, denken einige nicht an Wachstumsstillstand. Der Irrsinn geht weiter. Die Baumärkte werden noch mehr als die jetzigen 80 % des gesamten Branchenumsatzes zum Nachteil der kleineren Mitbewerber abschöpfen. Den 1,4 Prozent Umsatzwachstum stehen ganze 2,4 Prozent mehr Baumärkte gegenüber. Zu den 4183 Baumärkten kamen im Jahr 2005 104 hinzu. Statt vernünftigerweise zu schrumpfen wollen viele noch weiter wachsen und noch größere Märkte mit über 10000 Quadratmeter eröffnen.
Allen voran geht die Baumarktkette OBI, die in 4 Jahren europaweit 100 neue Märkte eröffnen möchte und auch vor der Übernahme von Wettbewerbern nicht zurückschreckt.

Quellen:
Statistisches Bundesamt, 2.3.2006: Einzelhandelsumsatz Januar 2006: Real + 1,7% zum Januar 2005
www.welt.de / 15.8.2000
BNN, 7.2.2006: Obi denkt an Übernahme

3.5 - Beispiel MetroGroup: Relativierung des Geschäftsberichts 2005

3.5.1 - Unersättliches Wachstum und Verwunderung über Konsumzurückhaltung

Das Henne-Ei-Problem

Zuletzt darf nicht der große Platzhirsch unter den Handelsunternehmen fehlen. Die METRO Group mit einem Umsatzwachstum von 4,2 % in 2005 auf rund 55,7 Mrd Euro. Das sieht im Vergleich zu anderen DAX Unternehmen nicht sehr viel aus, insbesondere wenn man den Umsatzrückgang in Deutschland um 2,2% beachtet. Der Ebit liegt sogar nur bei +0,8 % auf einer Basis von 1,5 Mrd Euro und in Deutschland bei einem Minus von 28% (entspricht Minus 118 Mio Euro auf 534 Mio Euro ) durch die Real-Märkte. Man begründet dies mit der schlechten Entwicklung im Lebensmittelhandel. Interessanterweise erwähnt nämlich METRO selbst im Geschäftsbericht 2005 den verschärften Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel, die ausgeprägte Konsumzrückhaltung und Preissensibilität der Verbraucher als Gründe für einen Umsatzrückgang. Ist das nicht wie die Frage mit dem Huhn und dem Ei? Schließlich heizen gerade Unternehmen von der Dimension eines METRO und mit dem Format eines REAL den Wettbewerb an und mindern durch Besetzung von Marktanteilen die Verdienstmöglichkeiten einer größeren Anzahl von Konkurrenten. Dazu kommt noch der Hackfleischskandal, den METRO selbst als Qualitätsvorfall zugibt. Dabei könnte nichttagesfrisches Hackfleisch mit überschrittenem Haltbarkeitsdatum gar nicht auftreten, wenn nicht zum Zwecke der Marktpositionierung mit günstigeren Preisen kein Hackfleisch angeboten wird, das täglich frisch aus frischem Fleisch erzeugt wird.

3.5.2 - Die Metrokarte für Gewerbetreibende

Man kann aber noch eine ganze Reihe von Zahlen relativieren. Zum Beispiel liegt das Umsatzwachstum der Vertriebslinien Metro Cash & Carry sowie Media Markt und Saturn in Deutschland im positiven Bereich. Metro Cash & Carry zählt sich zum Selbstbedienungsgroßhandel und ist dabei mit 544 Standorten in 28 Ländern der Marktführer. Der Ebit aus dem weltweiten Gechäft erfreut mit einem Plus von 5% auf eine Milliarde Euro. Das konnte sogar mit der Invesition in 43 Neueröffnungen erreicht werden.

Nun ist Metro Cash & Carry allein für den Großhandel da und nur wer als Gewerbetreibender im Besitz einer Metrokarte ist, darf dort auch einkaufen. In der Realität sind gegen Metro einige Urteile anhängig, da einmal jeder Gewerbetreibende dort auch für private Zwecke einkaufen kann, zum anderen gibt es zur genüge Endkunden bei Metro, die noch nie ein richtiges Gewerbe betrieben haben. Bei Metro kann also so ziemlich jeder einkaufen und darauf stellt sich Metro auch ein. Denn die Kunden freuen sich auch als Privatmensch über das schier endlose Angebot von bis zu 50.000 meterhoch gestapelten Artikeln. Zur Umgarnung der Aktionäre im Geschäftsbericht ist diese Vertiebslinie innovations- und leistungsfähig, kundenorientiert, kompetent in Frische, günstig im Preis-Leistungs-Verhältnis, von internationaler Unternehmenskultur und sonstiges Blabla. Also ohne Metro gibt es mit der dargebotenen Frische vieler Metzger, die ihr Fleisch aus dem Umland beziehen, den noch existenten Getränkehändlern in Wohnvierteln, Wochenmärkten, den Elektro- und sonstigen Händlern in den Stadtzentren nicht minder Frische, Kundenfreundlichkeit, eine gute Unternehmenskultur, hohe Qualität und anständige Preis-/Leistungsverhältnisse. Diese bieten ebenso Leistungen, die Restaurants, Dienstleistungsbetriebe und andere Gewerbetreibende suchen. Für Lebensmittelhändler und andere Betriebe gibt es Vertriebsnetze, die wirklich nur für den Großhandel zuständig sind. Mit Metro gibt es eine wachsende Abhängigkeit der Produkthersteller von einem Unternehmen, dass den Markt mit großem Einfluss beherrscht.

3.5.3 - Wer in der Elektrobranche kann von profitablem Wachstum sprechen?

Mit der stetig steigenden Verkaufsfläche setzt Metro darauf, seine Marktführerschaft zu behaupten und auszubauen. Im Elektrohandel hat Metro dies mit Media Markt und Saturn erreicht. Media Markt und Saturn strebt weiterhin eine konsequente Ausrichtung auf profitables Wachstum an. Welcher selbständige Elektrofachhändler kann das? Er muss mit Anzeigenschaltungen in lokalen Zeitungsblättern um jeden Kunden kämpfen und kann froh sein, wenn sein Umsatz nicht schrumpft. Hier zeigt sich die Arroganz von Geschäftsberichten der großen Konzerne. Ein günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis und kundenorientiertes Vertriebskonzept welches Metro als Erfolgsfaktoren anführt, können auch kleinere und dafür mehr Händler bieten. Nur traut man es ihnen nicht zu. Und ein attraktives Sortiment, ebenfalls als Erfolgsfaktor angeführt, findet man in einer Vielzahl von wirklich spezialisierten ihrer Bezeichnung gerecht werdenden „Fach“ – Geschäften in einer funktionierenden städtischen Geschäftswelt doch viel eher als in einem Gemischtwarenladen wie Media Markt und Saturn. Nur dumm, wenn sowas nicht zählt und das „aufmerksamkeitsstarke Marketing“ mit blöder Werbung die Potenten Käufer blendet.

In 2005 steigerten Media Markt und Saturn ihren Umsatz um 9% auf 13,3 Milliarden Euro. In Deutschland stieg der Umsatz um 2,6 % auf 7,2 Milliarden Euro. In Europa hat Media Markt und Saturn damit die Marktführerschaft behauptet und ausgebaut. Dies wird mit der Eröffnung neuer Standorte unterstrichen. In Deutschland gab es allein 13 neue Media Märkte und 3 neue Saturn - Märkte. Wer sich an seinem Wohnort umschaut wird dagegen keine Neueröffnungen von inhabergeführten Geschäften des Elektrofachhandels erleben. Sie können keine Arbeitsplätze bieten und mit ihrem ausbleibenden Umsatz auch nicht zu einem Vorrankommen der Gemeinde und zum Wirtschaftswachstum beitragen.

Quellen:
Geschäftsbericht der MetroGroup 2005

3.6 - Mergers & Acquisitions - Markt für An- und Verkauf von Unternehmen

Ein Verschiebebahnhof über den Köpfen der Angestellten

Eine andere Form des Wachstums besteht im Zukauf von Firmen. Daraus hat sich inzwischen einer richtiger Markt entwickelt. Doch schaffen An- und Verkäufe auch mehr Werte? Im Jahre 2005 wurden weltweit 2,7 Billionen Dollar für An- und Verkäufe von Firmen transferiert. Übernahmen gehören mittlerweile zum Tagesgeschäft deutscher Konzerne. Spezielle Mitarbeiter und Abteilungen kümmern sich um die Abschätzung, Planung und Durchführung der Deals. Dieser Markt nennt sich Mergers & Acquisitions, kurz M&A oder auf deutsch "Vermittlung von Käufen und Verkäufen von Unternehmen oder Unternehmensteilen.".

Den deutschen DAX-Unternehmen geht es im Jahre 2006 trotz dem Gejammere in der Wirtschaft sehr gut. 120 Milliarden Euro sollen die 30 DAX-Unternehmen zur Verfügung haben. Dabei sind allerdings Investitionen in organisches Wachstum out. Für neue Produktpaletten und Märkte werden ganze Firmen gekauft. Diese Käufe wie der HypoVereinsbank durch UniCredit werden Monate vor Bekanntgabe in kleinem Kreis innerhalb von Kanzleien skizziert und lanciert. Im Fall der Hypovereinsbank wurden dann im Juni 2005 den Aktionären ein Aktientausch angeboten, der im November 2005 vollzogen war. Banken übernehmen Secondhandläden gleich den Verkauf von Firmenteilen, die den einen Unternehmen nicht mehr passen, andere aber attraktiv finden. Das hierbei auch immer Strukturveränderungen für Standorte und Angestellten miteinhergehen, wird völlig vergessen.

Die An- und Verkäufe haben bewirkt, das nur noch wenig deutsch drin ist, wo DAX draufsteht. Aktionäre, Umsätze, Arbeiter und Fabriken sind bei adidas, DaimlerChrysler, Bayer & Co mal mehr mal weniger jenseits der deutschen Grenzen. Internationale Investoren und Hedge Fonds lassen sich von nationaler Politik und die Stimme der Öffentlichkeit bei der Übernahme und Führung nationaler Ikonen nicht beindrucken. Ob HypoVereinsbank oder Arcelor (Übernahme durch Mittal) – allein der Kapitalmarkt bestimmt wer zu wem kommt.

Der Markt wird durch eine enorme Geldmenge von Billionen Euros aus der privaten Altersvorsorge und Hedge Fonds angefacht und nähren die Kanzleien des M&A Sektors und den mit den Unternehmen handelnden Banken mit Millionen von Geldern. Weil sehr viel Geld irgendwo angelegt werden muss - momentan im lukrativen Handel mit Unternehmen – entsteht eine unheimliche Dynamik. Eine Dynamik der Angestellte nur zuschauen können und bei der sie sich dem Willern der neuen Eignern fügen müssen.

Ökonomen wie Lars-Hendrik Röller von der EU-Wettbewerbsbehörde in Brüssel liegen völlig falsch, wenn sie meinen, dass Unternehmen nicht wettbewerbsfähig durch Größe würden, sondern groß würden, weil sie wettbewerbsfähig sind. In vielen Bereichen ist erkannbar, das Größe ein großer Machtfaktor ist, indem durch Beherrschung des Marktes Druck auf Mitbewerber und Zulieferer ausgeübt wird. Auch soll es keine Probleme mit großen Unternehmen geben. Für die Verbraucher vielleicht. Für den Arbeitsmarkt dagegen schon. Bei den großen DAX – Unternehmen zählt nur noch die Maximierung der Rendite auf Kosten der Wohlfahrt der Angestellten. Die EU-Wettbewerbsbehörde beurteilt die Fusionen viel zu einseitig, wenn nur die Auswirkungen für die Wohlfahrt der Verbraucher berücksichtigt wird. Die wollen nicht alleinig günstige Preise, sondern auch einen sicheren Arbeitsplatz.

Im großen und ganzen wird also nur hin-und hergeschoben und nichts neu geschaffen. Es entstehen Probleme und Verunsicherung. Die neuen Eigner verlagern Produktionsstätten ins Ausland. Bei Fusionen und Übernahmen wird oft das Tagesgeschäft vergessen.

Quelle:
Die Zeit Nr 11/2006

3.7 - Beispiele zu Eigentümerwechsel bei Unternehmen

Im Jahr 2005 war von der Heuschreckenplage die Rede, die schnell ins Land der Märchen und der Unrealisten verbannt wurde. Wenn "kleinere" Traditionsunternehmen an größere Unternehmen, Investoren veräußert werden oder diese großen Unternehmen die kleineren Aktiengesellschaften feindlich übernehmen, ist dies jedoch nicht immer von Vorteil. Grohe, Iglo und der Kosmetikhersteller Wella sind Beispiele.

3.7.1 - Beispiel Grohe: verunfallt durch Börse, Auslaugung durch Investoren und zerstört durch McKinsey

Ein Beispiel, welche Unfälle mit florierenden Unternehmen geschehen können, wenn diese in die Hände von Investoren gegeben werden zeigt das Beispiel des Armaturenherstellers Grohe.

Dabei hatte Grohe schon vor dem Verkauf an die Investmentgesellschaft Texas Pacific Group Probleme, die nicht an der Stärke am Markt sondern im Hin und Her an der Börse begründet waren. 1968 wurde zum ersten Mal die Mehrheit der Gesellschaftsanteile - 51 Prozent - des Familienunternehmens verkauft. Damals war es die ITT International Telephone + Telegraph. Die schon vorher solide gewachsene Firma wächst mit den Amerikanern noch mehr, vor allem im Ausland.
Dann kommt Grohe 1984 wieder zur Familie Grohe. Die Gründer – Vater Hans und Sohn Friedrich Grohe – sind verstorben, ihre Nachkommen Charles und Bernd kaufen die Anteile von ITT. Dann wandeln sie 1991 Grohe in einer Aktiengesellschaft um und gehen an die Börse. Bis hierhin verlief alles geradlinig.

Mit dem Börsengang folgte der Schlingerkurs. Das eigentlich florierende Unternehmen mit besten Werten wurde von den Aktionären nicht mehr als ein Mauerblümchen beachtet. Die Umsatzrendite konnte noch so hoch sein (1998 =7,3%), die Produkte noch so überzeugend sein, für die Analysten war Grohe zu klein und für die Privatanleger zu wenig schillernd. Wer nicht bomastisch auffallen kann, für den ist die Börse nicht das geeignete Finanzierungsinstrument. Wenn man von der Gnade der Beachtung abhängt, nützt alles strampeln nicht.

Es kam was kommen musste, die Familie Grohe verkaufte ihr unterbewertetes Aktienpaket an die unabhängige britische Private Equity Gesellschaft BC Partners. Diese nahm Grohe im Jahre 2000 von der Börse, und baute Grohe abermals erfolgreich aus. Mit den Briten lief es wieder gut. Grohe Produkte waren überall in der Welt gefragt, wenn Bäder einzurichten waren. 20 Prozent Rendite konnte Grohe mit Duschköpfen, Waschbecken und anderem im Jahre 2003 erwirtschaften. Eine stolze, nicht alltägliche Zahl.

Grohe wäre ein Musterkandidat für die Börse gewesen. Größer und erfolgreicher als je zuvor. Doch die Investorengesellschaft BC Partners entschied sich gegen den Börsengang und verkaufte Grohe mit einem Gewinn von rund einer halben Milliarden Euro gegenüber 1999 an eine Investorengruppe unter Führung der Texas Pacific Group.

Für Grohe mit damals rund 5500 Mitarbeitern beginnt nun des Dramas letzter Akt. Waren eine Rendite von 20 Prozent schon ein überragender Wert, strebte die Investorengruppe 28 Prozent an. Natürlich durfte auch eine Unternehmensberatung nicht fehlen. Man nahm die Dienste der allseits beliebten Beratungsfirma McKinsey in Anspruch. Als ob Grohe noch ein besonderes Programm für irgendeinen Erfolg gefehlt hätte, verpasste McKinsey dem Erfolgsunternehmen ein - natürlich englisch betiteltes - Programm "Fit for the Future".

"Fit for the Future" kann sich in die Reihe anderer beschöningender Begriffe reihen, die meist Nachteile für die Arbeitnehmerschaft bedeuten. Man denke an "Optimierungspolitik" oder "Verschlanken".

Tatsächlich fand Grohe ein Kommunikationsproblem gegenüber der Presse und Öffentlichkeit zu haben, weshalb auf dem 1. Kongress für Mittelstandskommunikation am 3. November 2005 der Unternehmenssprecher Herr Klaus Hillebrand einen Vortrag zur Kommunikation im Restrukturierungsprozess hielt.
Danach beinhaltet "Fit for the future"

- Investition in Marke und Innovationskraft.
- Weiterer Ausbau des weltweiten Vertriebssystems.
- Kosteneinsparungen von jährlich 150 Mio. Euro /Personalreduktion in Deutschland.
- Schaffung von Finanzstrukturen, die Eigenständigkeit sichern.
- Weiterentwicklung vom deutschen Unternehmen mit Export zum internationalen Unternehmen mit deutschen Wurzeln

Sollten von Grohe etwa nur noch deutsche Wurzeln übrig bleiben? Bei eine Rendite von 20 Prozent und das mit deutschen Arbeitskräften? Behält die Marke ihren Wert, wenn auf hochpreisigen Produkten Made in Thailand steht?
Es wird durchaus erkannt, dass die Restrukturierung (= Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland) bei den Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, Medien, Politik und Verbänden nicht unbedingt positiv aufgenommen wird, weshalb Energien für einen guten Verkauf dieser Maßnahmen aufgebracht werden müssen. Vorallem soll die Heuschreckendebatte gänzlich unter den Tisch gekehrt werden. Es sollte gewartet werden, bis sich die Wogen geglättet hatten.
- So ist es nicht schlecht, dass bis 2008 1/3 im Ausland investiert wird, sondern positiv dass es 2/3 in Deutschland sind.
- Es ist nicht schlecht, dass von 5600 Mitarbeitern 1800 im Ausland tätig sind, es im Werk Lahr 380 Arbeitsplätze entfallen sollten, sondern positiv, dass 3800 Arbeitsplätze in Deutschland und 940 in Lahr bleiben.

Nach einer Meldung der FAZ vom 27. Mai 2005 hätten nach McKinsey 3000 Arbeitsplätze auswandern sollen. Grohe wäre dann nichts mehr weiter als eine Holding. Es ist schon dreist, ein Unternehmen im Ursprungsland kaputtzumachen und dann für die Kunden das alte Etikett draufzukleben. Was McKinsey vorhatte ist eigentlich Etikettenschwindel, wenn die Produktion komplett nach China ausgelagert werden sollte. Für so ein grobes und einfallsloses Denken braucht man keine teure Unternehmensbratung.

Als Gründe für das Fitnesspaket wird natürlich nicht eine geplante Steigerung der Rendite, sondern der harte Wettbewerb mit Billiganbietern und stockender Baukonjunktur angebracht. Dabei verkauft Grohe aber gerade mal 20 Prozent seiner Waren in Deutschland. Nach amerikanischer Logik bedingt ein hoher Auslandsabsatz auch eine höhere Auslandsproduktion. Recht unlogisch, wenn man bedenkt, dass die Herstellerländer Thailand, Portugal und Kanada sind. Näher am bezahlenden Kunden ist das auch nicht. Nach der Theorie Alles-kann-ewig-wachsen gibt man sich mit dem Status quo unzufrieden und plant schon mal, jedes Jahr um 5 Prozent zu wachsen. Also Fitnessprogramm doch nur für das Wachstum? Auf der Strecke soll die Vielfalt an Produktvarianten und die große Schar der Lieferanten bleiben. Wer hier nur kleine Mengen liefern kann, wird künftig vor verschlossenen Türen stehen.

Man darf durchaus fragen, ob durch derartige Umstrukturierungen nicht das Gesicht eines Unternehmens entstellt, seine Seele verkauft wird. Werte, die mit einem traditionsreichen Unternehmen verbunden waren, sind hartem Kalkül gefallen. Mit einer Armatur aus Asien ist man schließlich weniger verbunden, als mit einer in Deutschland hergestellten, ganz gleich wie hochwertig sie ist.

Wenn es einen Sparzwang gibt, dann ist dieser durch die Rumschieberei des Unternehmens von einem Investor zum nächsten selbst bedingt. Investoren wie BC Partners oder die Texas Pacific Group finanzieren die Unternehmenskäufe nicht aus eigener Kraft sondern mit Fremdkapital aus günstigen Krediten. Zur Tilgung dieser Kredite bedient man sich aus den Erträgen der übernommenen Betriebe. Im Fall Grohe musste das Unternehmen selbst eine Anleihe mit hohen Zinsen am Kapitalmarkt aufnehmen um den Kauf der Texas Pacific Group zu finanzieren. Laut der „Welt“ vom 13.5.2005 hatte Grohe aus diesen Wechseln rund eine Milliarde Euro Schulden. Die FAZ schreibt, die hohen Zinsen würden Grohe erdrücken.

Bei Grohe kommen also 3 Dinge zum tragen, die zum Nachteil der deutschen Arbeitnehmer geführt haben:
erfolgloser Börsengang
An- und Verkauf an Investmentgesellschaft mit hohem Eigeninteresse und wenig Verständnis für gewachsene Strukturen. Man verkauft scheinbar zwingende Sparmaßnahmen, die aber ohne den Kapitalabfluss in die kaufenden Private-Equity-Firmen nicht nötig gewesen wären.
Ein Beratungsunternehmen McKinsey mit Ideen aus der Mottenkiste.

Quellen:
www.faz.net
rbi-aktuell.de
www.welt.de
www.haustechnikdialog.de
www.sopos.org

3.7.2 - Beispiel Wella: Verrat durch profitgierige Fondsgesellschaften

Nach einer dpa-Meldung vom Dezember 2005 hatten Minderheitsaktionäre Widerstand gegen die Eingliederung von Wella in den US-Konsumgüterkonzern Procter & Gamble (P&G) angekündigt. Sie warfen der Führung von Wella vor, die Traditionsfirma zu einem bloßen Lizenzgeber und Lohnfertiger für den US-Konzern gemacht zu haben. In einer weiteren Quelle - www.handelsblatt.com vom 14.12.2005 wurde zudem ein Verdacht der Kleinaktionäre laut, wonach sich die Fondsgesellschaften zu vorteilhaften Konditionen mit Procter & Gamble geeinigt hatten, obwohl die Fondsgesellschaften zuvor die Übernahme heftig kritisierten.
Mit nur noch 3,1 Prozent Anteil am Wella Grundkapital sollten die Minderheitsaktionäre ausgeschlossen und mit einem für sie zu geringen Aktienwert zwangsabgefunden werden.

Aus reinen Gewinnmaximierungsrechnungen haben also Fondsgesellschaften und andere Großaktionäre das Traditionsunternehmen Wella an einen US-Konzern verkauft und es der Ehre und Eigenständigkeit beraubt. Nötig war es nicht. Wella ist hinter L’Oreal die Nummer zwei.

Quellen:
Handelsblatt.com - Wella ist nur noch Lohnfertiger
WDR - Großkonzerne sind scharf auf Wella

3.7.3 - Beispiel Iglo: Betriebsform "Aktiengesellschaft" völlig ungeeignet

Iglo ist ein Beispiel dafür, dass die Betriebsform „Aktiengesellschaft“ völlig ungeeignet sein kann. Im Februar 2006 gehörte die Tiefkühlkostmarke Iglo noch zum großen Konsumgüterkonzern Unilever. Da nach den Gesetzen der Börse ein Aktienunternehmen immer wachsen muss, es aber für Tiefkühlprodukte allgemein keine oder kaum Wachstumsmöglichkeiten gebe wolle Unilever diese Marke verkaufen. Ein Unternehmen wird also wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen, weil es zwar Gewinne macht, nicht aber eine exorbitante Steigerung der Gewinne.

Quellen:
BNN, 10.2.2006: Unilever plant Verkauf von Iglo

3.7.4 - Beispiel IWKA: Hauptsache das Portfolio passt

IWKA - die Industriewerke Karlsruhe Augsburg - ist ein Konzern, der aus zahlreichen mittelständischen Unternehmen besteht. Seit sich im Jahre 2005 ein amerikanischer Unternehmer in der Aktiengesellschaft eingekauft und trotz geringem Anteil ein starkes Mitspracherecht bei der Führung behauptet, ist der Vorstand sehr agil. Der Vorstandsvorsitzende wurde ausgetauscht und in seiner Rede zur außerordentlichen Versammlung am 9.11.2005 in Karlsruhe wimmelt es nur so von börsentypischen Innovations- und Wachstumsfloskeln. Hauptsache das Hochglanzportfolio passt.

Eine kleine Sammlung:
- Konzentration auf Tätigkeitsfelder mit hohem Wachstums- und Ergebnispotential. Bereinigung des Portfolios um nicht ausreichend profitable Tätigkeitsfelder.
Das dürfte soviel heißen, wie Unternehmen, die zwar schwarze Zahlen schreiben und ausreichend Gewinne machen, werden verkauft, wenn sie nicht schnell genug wachsen.
- Härterer Kurs bei Restrukturierung
- Kostensenkungs- und Effizienzsteigerungsprogramme = FOR Productivity
- Kohärente Corporate Story
- Portfolio-Management
- Performanceorientiertes Führungsverhalten
- Parenting value für Projekt- und Riskmanagement

Weiter hieß es, die weiteren Desinvestitionen der Balg- und Kompensatoren-Gruppe in Stutensee und der Bopp & Reuther Sicherheits- und Regelarmaturen seien auf gutem Wege. Heißt soviel wie Verkauf.
Und tatsächlich wurde die IWKA Balg- und Kompensatoren- Technologie GmBH laut einem Bericht der Badischen Neuesten Nachrichten vom 24.12.2005 an die Investorgesellschaft Odewald & Compagnie Gesellschaft verkauft. Unternehmenskommunikation und Betriebsrat zeigten sich uneinig, ob der Autozulieferer für flexible, mechanische Elemente zu den IWKA Geschäftsfeldern mit u.a. der Automobiltechnik passe oder nicht. Undiskutabel war aber, dass das Unternehmen sehr wettbewerbsstark dastehe und kein Problemkind ist. Politische Überlegungen lassen also ein Unternehmen hin- und herrollen wie eine Murmel.

Die IWKA insgesamt könnte sich nicht beklagen, wenn sie sich mit den normalen schwarzen Zahlen zufrieden geben würde. Auch im Bereich Verpackungstechnik wird manches schlechter geredet als es ist, um den Abbau von Arbeitsplätzen zu rechtfertigen.

Ausführungen des Vorstandsvorsitzenden der IWKA Herrn Hein auf der außerordentlichen
Hauptversammlung am 9.11.2005
verschiedene Artikel der Badischen Neuesten Nachrichten

3.7.5 - Beispiel AEG: Opferung der Tradition für Gewinnmaximierung und EBITDA

Es soll nur ein politisches Gerücht sein, AEG habe mit jeder in Nürnberg produzierten Waschmaschine Verluste gemacht. Aus für viele unerfindlichen Gründen soll bis 2007 das Werk Nürnberg geschlossen und die Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden. Das kann nur mit der von der Börse gefordeten Gewinnmaximierung zu erklären sein. Der Stolz, ein Traditionsunternehmen an einem Traditionsstandort zu haben und eigentlich erhalten zu können, zählt für Elektrolux nicht. Dabei sind dort viele begabte Spezialisten wie Feinblechner, Werkzeugbauer und Elektromechaniker vor Ort. Menschen, die schon immer und oft auch in der zweiten Generation bei AEG arbeiten. Menschen, die noch vor 10 Jahren stark gefragt waren. Das gilt nicht mehr. Elektrolux zahlt Millionen für die Schließung des Werkes, um an anderer Stelle ein bißchen mehr für den EBITDA rausquetschen zu können.

BNN, 24.1.2006: Eine Stadt kämpft um ihren Stolz

3.8 - Die Heuschrecken: Gibt es sie doch?

Ein Seitenblick auf Hedge-Fond-Gesellschaften und deren Verwandte

Sie haben viele Namen: Hedge-Fond, Private-Equity-Firma (=Privates Beteiligungskapital), Heuschrecken, AAC (=Assets Assault Companie, Wert-Raub-Gesellschaft), Investmentgesellschaften. Eine Abgrenzung ist schwierig und auch bei den Definitionen scheint man sich das passende raussuchen zu können.

Fälle, bei denen schlecht stehende Unternehmen vor der Pleite durch Investoren gerettet wurden, werden immer wieder gerne präsentiert, wenn es darum geht, das Bild von der bösen Heuschrecken abzuwenden. Dem stehen eine Reihe von Verhaltensweisen und Beobachtungen gegenüber, die eine reservierte Haltung gegenüber den nach Übernahmekandidaten schauenden Gesellschaften mahnen. Diese Gesellschaften, die mit privaten Geldern und Darlehen meist gar nicht so risikoreich solide Firmen kaufen sind nur all zu oft nur daran interessiert, möglichst viele Werte der Mutterfirma zukommen zu lassen.

Ein System ist z.b., eine solide Firma zu kaufen, deren eigentlicher Wert weit über dem jeweiligen Kaufpreis liegt. Dieser Wert wird beliehen, die AAC-Mutterfirma bekommt das Geld und zur Tilgung des Kredits wird alles aus der Firma rausgeholt. Auf diese Weise ist das Geschäft für den AAC äußerst lukrativ und ohne Risiko. Diese Rendite wecken den Trieb zu noch mehr derartigen Geschäften, so dass der Anreiz für eine seriöse Führung eines Produktions- oder Serviceunternehmens gering ist. Dies geschah bei Grohe. Grohe musste für die Finanzierung des Kaufs durch die Texas Pacific Group einen Kredit in dreistelliger Millionenhöhe aufnehemen. Hier sitzen Menschen an den Schaltknöpfen, die nichts schaffen und nur zur Geldvermehrung im Interesse von Anlegern zerstören. Immer mehr Kapital wird angehäuft, für das Anlagemöglichkeiten gefunden werden müssen. Und immer mehr Firmen werden dadurch ausgesaugt.

Den Private-Equity-Firmen kommt hierbei die Tatsache zu gute, dass börsennotierte Unternehmen oft nicht ihrem Wert entsprechend gehandelt werden. Dies ist ein Mangel der Börse und bekräftigt die Annahme, dass die Börse nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Kann etwas seriös sein, dass sich vom Tageswetter beeinflussen läßt? Die mit prall gefüllten Kassen auftretenden Finanzinvestoren sind an sogenannten breit aufgestellten Unternehmen mit unterschiedlichen leicht abspaltbaren Geschäftsbereichen interessiert. Mit der Unterbewertung sind die Aktionäre käuflich und wenn es wenige Anteilseigner sind ist es um so besser.

Aus Furcht vor den Finanzinvestoren ergreifen die Vorstands-Chefs die Flucht nach vorne. Sie selbst wenden Werkzeuge der Investoren wie Verknappung des Personals, abstoßen von weniger lukrativen Randbereichen usw an. Die Private-Equity-Firma KKR ist dabei ein ganz großer Jongleur. Im Milliardenbereich wird bei Pensionsfonds, Versicherungen und Privatleuten Geld eingesammelt, Geld geliehen und Firmen gekauft. Diese werden saniert, umgebaut und zerschlagen. Die Teile werden gewinnbringend wieder verkauft oder an die Börse gebracht. Davor sind auch DAX-Unternehmen nicht gefeit.

Die Geldmasse, die angelegt werden möchte ist riesig. Die Private-Equity-Firmen haben selbst 70 Milliarden Euro zur Verfügung. Weltweit werden die Anleger und Banken im Jahre 2006 rund 650 Milliarden Euro für Firmenkäufe zur Verfügung gestellt haben.

Eine Eigenschaft hilft den Hedge-Fond-Gesellschaften bei der Übernahme: der geringe Bekanntheitsgrad. Selten sind sie bekannt wie ein bunter Hund. In diesem Fall gäbe es größere Widerstände. Mit jedem Tag werden neue AAC’s und Fonds gegründet. Dies geschieht in geschachtelten Strukturen über die eine -sagen wir mal - Holding auf den Cayman Islands wacht.

Quellen:
de.wikipedia.org/wiki/Hedge_fond
de.wikipedia.org/wiki/Private_Equity
www.welt.de
http://www.rbi-aktuell.de

3.9 - Die Bedienung der Aktionäre

Seit dem Aktienboom hat sich das Gefühl breit gemacht, je besser es der Wirtschaft geht, desto so schlechter gehe es dem einzelnen Bürger. Die Fakten belegen, dass ungeachtet von überragenden Werten der Aktien, an der Börse herrschende Doktrien zu erhöhtem Druck auf die Arbeitnehmer führen. Beispiele

3.9.1 - Beispiel Continental: Rekordgewinnen stehen Altersteilzeit,

Zeitverträge und Verpflanzungen der Arbeitnehmer entgegen.

Bis Ende 2007 soll das PKW-Reifen Werk von Continental in Hannover Stöcken mit 320 Mitarbeitern geschlossen werden. Das Werk ist profitabel, der Konzerngewinn stieg nach den Rekordgewinnen der Jahre zuvor im Jahre 2005 um 30 Prozent auf knapp 930 Millionen Euro. Die Angestellten verzichteten auf Lohnerhöhungen und bezahlte Pausen. Noch im Herbst 2005 sollte das Werk bereits zum 31.12.2006 geschlossen werden, Proteste der Gewerkschaft IG BCE erwirkten jedoch einen Aufschub und eine "sozialverträgliche" Lösung. Das heißt soviel wie Altersteilzeit auf Kosten der Rentenkasse, ungewisse Zukunft für Arbeitnehmer mit Zeitverträgen und Verpflanzungen in andere Werke an anderen Orten. Außerdem sind betriebsbedingte Kündigungen erst nach 2007 nicht ausgeschlossen.

Dem Gewinn von knapp einer Milliarde stehen außerdem die Kürzung von Löhnen und Streichung der betrieblichen Krankenkassenbeiträge im Werk Charlotte in North Carolina / USA und die Zerschlagung des Reifenwerkes in San Luis de Potosi / Mexiko in eine Firma mit Produktionsanlagen, eine Firma mit allen höheren Angestellten und eine Firma mit allen Arbeitern gegenüber.

Quellen:
www.nd-online.de, 26.1.2006: Conti hält noch bis 2007 Luft
www.kritischeaktionaere.de: Zwei Gewerkschaften verklagen Continental

3.9.2 - Beispiel Allianz: Wettkampf um Renditen / Zufriedenheit wird nie erreicht

Im Juni verkündete der Allianz-Konzern den geplanten Abbau von 7500 Stellen. Ganze Standorte und Niederlassungen werden geschlossen. Die Allianz begründete dies ganz klar damit, das man bei den Renditen heutzutage mit "den anderen" ,z.B. dem US-Versicherer AIG mithalten müsse. Sprich ab 20% aufwärts macht sich gaaanz langsam Zufriedenheit breit. 2006 wird der Gewinn von 4,4 Milliarden Euro im Vorjahr auf über 5 Milliarden anwachsen. Dies dürfte eigentlich genügend Luft sein, selbst wenn das Wachstum mal nicht so groß ausfällt. Aber für ein börsenotiertes Unternehmen wie die Allianz sind Rekordgewinne nur Momentaufnahmen des betrachteten Quartals. Daher muss der Puffer zwischen Gewinn und Verlust übderdimensioniert groß sein. Der Abbau von 5000 Stellen bei der Allianz-Versicherung und 2500 Stellen bei der zur Allianz gehörenden Dresdner Bank wird mit 1,3 Milliarden Euro budgetiert.

Die Allianz befindet sich dabei in guter Gesellschaft. Denn auch andere Versicherer planen einen Stellenabbau im zehntausender-Bereich. Die Gewinne sind hoch, die Aussichten rosig, doch nach den zahlreichen Aufkäufen (zB. Aachener-Münchener zu Generali, Hamburg-Mannheimer und DKV zur Ergo-Gruppe) besteht der Zwang zur Straffung, Angleichung und die sogenannte Ausnutzung von Synergieeffekten. Mit wachsender Größe der Versicherungskonzerne nimmt die Individualität der Produkte ab, IT-Bereiche werden zunehmend in Billiglohnländer ausgelagert. Die austauschbaren Versicherungen von der Stange sind nur noch vom Namen her unterschiedlich und zehren von der Reputation der vormals eigenständigen Unternehmen. Zur Bedienung der Aktionäre der großen Konzerne sind großflächiger Service für die Kunden nicht wichtig. Die Selbstbestimmung der Kunden, bei welchem Unternehmen sie sich letztlich versichern wollen ist Nebensache.

3.9.3 - Beispiel Deutsche Telekom: 16% mehr Dividende und massiver Stellenabbau

Abbau von 32.000 Stellen bis Ende 2008. Konzerngewinn 2005: 4,7 Milliarden Euro. Ausschüttung einer Dividende von 3 Milliarden Euro in 2006. Die Dividende pro Aktie wurde um 16% auf 0,72 Euro angehoben. Wie bei der Allianz stellt die stärkste Billanz in der Geschichte der Telekom nur eine Momentaufnahme dar, Pakete mit Sparmaßnahmen werden für die Zukunft geschnürt.

Wenn technische Veränderungen, der Konkurrenzdruck und andere Faktoren tatsächlich, wie von seiten der Telekom einen derart massiven Stellenabbau bis 2008 erfordere, so ist es nicht einsehbar, wie Aktionäre derart gegensätzlich bedient werden müssen. Beim sparen sollten alle im selben Boot sitzen.

Quellen:
Die Welt
heise online

3.9.4 - Beispiel Henkel: Arbeitnehmer zahlen für Krux des Aktiengeschäfts

Werksschließungen u.a. in Düsseldorf und Abbau von 3000 Stellen bis Ende 2006, davon 500 in Deutschland. Umsatzwachstum in 2004 um 12,3 Prozent auf 10,6 Milliarden Euro. Auf Grund des nicht rosigen Konsumklimas in Deutschland gab es leichte Umsatzrückgänge in der Heimat des Waschmittelherstellers, womit das Sparprogramm begründet wird. Henkel stößt also mit der Krux des Aktiengeschäfts zusammen. Da die Haushalte in Deutschland nicht so schnell wachsen wie der Renditewunsch einer Aktiengesellschaft, die Haushalte selbst schon alle mit Waschmitteln bestimmter Hersteller waschen, nicht ständig das Produkt wechseln und eher zu günstigeren Produkten greifen, sieht man sich genötigt, umfangreiche Sparmaßnahmen zu ergreifen um die Altionäre zu befriedigen. Zu ihrer Bedienung gibt zweistellige Umsatzzuwächse in den USA.

3.9.5 - Diskrepanz zwischen Realität der Bürger und

krampfhaftem Festhalten an steigenden Renditen der Betriebslenker

/ Abschied von der Deutschland AG

Die vorherige Liste kann u.a. mit IBM, Siemens und Deutsche Bank weitergeführt werden. Die Betriebslenker haben sich vom Land und den dort lebenden Menschen entfernt. Ansonsten würde nicht krampfhaft und ewig dürstend an steigenden Renditen festgehalten werden. Die Unausweichlichkeit der Entlassungen und Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland ist dann nur eine Folge dieses Krampfes. Rekordgewinne in Folge sollten eigentlich ein für die Beschäftigten entspanntes Szenario garantieren. Da wirken die angestrebten und erreichten Wachstumszahlen oft abgehoben, wenn der einzelne Bürger nichts davon im Geldbeutel spürt.

Es scheint keine moralische Verpflichtung mehr zu bestehen, die deutschen Bürger am Erfolg des Unternehmens teilhaben zu lassen. Zu Zeiten der "Deutschland AG" in der alten Bundesrepublik profitieren alle Bürger von positiven Entwicklungen. Zu dem Druck durch den globalisierten Wettbewerb addiert sich heute die Drohkulisse des Shareholder-Values und Eigenkapitalrendite. In der Deutschland AG waren Banken und Unternehmen miteinander verflochten und schlossen so den Aktienmarkt nach außen ab. Intern wurde für Stabilität, Konfliktbewältigung und langfristig angelegtes Wachstum gesorgt. Es gab Hilfe bei feindlichen Übernahmen und finanziellen Engpässen. Heute bleiben Finanzkonzerne bei feindlichen Übernahmen lieber neutral und machen mit Fusionen und Übernahmen das große Geschäft. Auch haben heute Fonds und ausländische Investoren das sagen. Mit ihrem mächtig gewordenen Gewicht zog eine andere Philosophie ins Land, wie das angelegte Kapital unter nachvollziehbaren und garantierten Bedingungen große Sprünge machen kann. Diese ist das angelsächsische Modell. Damit haben Unternehmen ihre Interessen vollständig hinter die des Aktionärs zurückzustellen. Sein eingebrachtes Kapital muss eine möglichst hohe Rendite abwerfen. Das Shareholder-Prinzip (=Schaffung von Mehrwert für die Eigentümer) ist das Maß aller Dinge.

Durchschnittlichkeit gibt es nicht mehr. Wenn Unternehmensteile keine Hochleistungsrendite garantieren können, ist das schon unprofitabel. Abteilungsleiter und Manager werden auf diese Weise angetrieben, Druck auf ihre Angestellten auszuüben. Die Mittel sind Kostensenkungsprogramme, Abwicklung und das ganze übliche Werkzeug. Den Führungskräften ist das größer 10% - Dogma eingeimpft worden. Danach muss ein Unternehmen für jeden investierten Euro diesen und mindestens weitere 15 % dazuverdienen. Ansonsten braucht man sich bei Banken und Aktionären nicht mehr blicken zu lassen. Kredite und Vertrauen schmelzen mit Renditen unter 15 % wie Erdbeereis in der Sahara.

Quellen:
Deutschlandfunk
Die Zeit
www.netzeitung.de, 7.1.2006: Deutschland AG ist nur noch "Klotz am Bein"
www.pr-inside.com, 17.7.2006: Wieder einmal Ende der Deutschland AG? - Konzerne expandieren verstärkt ins Ausland

3.9.6 - Wird in diesem System wirklich Mehrwert geschaffen?

Die zu erwirtschaftenden Gewinne - eine Akionärssteuer?

Das Wirtschaftssystem - nicht mehr als ein Gedankenspiel?

Erwirtschaftete Renditen im Steigflug, die auf wegfallenden Gehaltserhöhungen, Mehrarbeit und Verlagerung und Abbau von Arbeitsplätzen beruhen, sind dann nur noch Luftblasen. Das Wirtschaftssystem mit seinen Quartalsberichten, Aktionärsversammlungen, Börsenindezes, Ebitawerten und Hochglanzbroschüren über Portfolios wird dann als Gedankenspiel entlarvt, das zu reellen greifbaren Werten keinen Bezug hat. Das kann sich in Luft auflösen, wenn es nichts mehr auszusaugen, optimieren und verschlanken gibt und die Unternehmen ganz ohne Fett auf Hochtouren laufen. Kapital wird eher vernichtet, wenn mit großem finanziellen Einsatz Mitarbeiter vor die Tür gesetzt werden, statt mit demselben Einsatz investiert, geforscht und Kundenpflege betrieben wird. Und letztlich ist die Abführung der Gewinne an die Aktionäre eigentlich nichts anderes als eine weitere Steuer – eine Aktionärssteuer. Zu diesen Geldbeträgen haben die Kunden (z.b. Stromkunden von Energiekonzernen), über die Verschlankungsmaßnahmen die Angestellten sowie über Großeinkäufe und harten Verträgen die Lieferanten (z.b. im Lebensmittelhandel, produzierende Industrie) beigetragen. Gelder die dem Wirtschaftskreislauf fehlen.

Angetrieben wird das System von solchen, die von dem Erhalt der Dogmen leben. So empfiehlt die Deutsche Bank in solche Unternehmen zu investieren, die ihre Arbeitskosten deutlich senken. Auf eine Senkung von 10 Prozent der Arbeitskosten kämen 40 Prozent mehr Profit. Solche Gedanken schaden der Volkswirtschaft in dem die Teilhabe der Arbeitnehmer am Gewinn des Unternehmens sinkt und treiben „Geiz ist Geil“ mit den erwähnten Folgen am Anfang dieses Dossiers weiter an.

Da viele kleinere mittelständische Unternehmen oft für große börsennotierte Unternehmen produzieren, wird der Druck zur Kostensenkung an den Mittelstand weitergegeben. Wer nicht von Jahr zu Jahr seine Produkte den Konzernen günstiger anbiete, der könne der Konkurrenz aus Osteuropa Platz machen. Auf diese Weise kommt es durch die Börse zum Totalschaden, wenn jene Unternehmen, die die meisten Lehrlinge ausbilden und die meisten Arbeitsplätze anbieten ihrer Bewegungsfreiheit beraubt werden. Gewinne wie bei den Konzernen sind außer Reichweite.

Die ebenfalls von Aktionären zum Profit verdonnerten Banken und Geldgeber tun das ihre, Druck auf den Mittelstand auszuüben. Die Anforderungen an die Kreditwürdigkeit steigt. Sie wird mit größerem Eigenkapital und Wachstumsplänen erreicht. Kredite und gestiegene Profite aus dem Wachstum finanzieren dann Investitionen, wobei man dann schon an der erwähnten Kritik an Wachstumszwängen angelegt wäre (Nichts kann ewig wachsen und nicht auf Kosten anderer). Das System schafft damit mit den Zwängen zu Wachstum von mindestens 10 % für die einzelnen Unternehmen durchaus Mehrwert. Doch wenn alle Unternehmen eines Marktes diese Wachstumsmargen bedienen müssen, führt dies zu einem ungeheuren Druck, dem nicht alle standhalten können.

Quellen:
Die Zeit Nr 49/2005
BNN
Die Welt
www.kritischeaktionaere.de

3.10 - Ist der moderne Kapitalismus ein totalitäres System?

3.10.1 - Anarchie für den Shareholder-Value

Bei all den Diskussionen, wie man die wirtschaftliche Lage unseres Landes verbessern könnte hat es Heiner Geißler in einem ZEIT-Interview sehr richtig vormuliert: "Wir brauchen eine neue Ordnung, eine internationale sozial-ökologische Marktwirtschaft, den Gegenentwurf zur Diktatur des Anarcho-Kapitalismus mit seinem Shareholder-Value."

Hiobsbotschaften vom Arbeitsmarkt dürfen nicht länger Siegesmeldungen an der Börse sein. Im Gegensatz dazu gab es in der sozialen Marktwirtschaft eine Ordnung. Heute ist alles möglichst neoliberal ungeregelt. Es herrscht Anarchie in der Weltwirtschaft. Wo nur noch das Interesse des Kapitals eine Rolle spielt wird auch der organisierten Kriminalität Tür und Tor geöffnet. International wettbewerbsfähige Steuersätze werden von international agierenden Konzernen abgepresst und die Staaten werden gegeneinander ausgespielt. Da werden selbst internationale Organisationen wie die UN zu Marionetten.

Wenn manche Unternehmen sich eine "Corporate Social Responsibility" also eine Selbstbindung und Selbstverpflichtung gegenüber der Gesellschaft auferlegen, um eine höhere Kundenakzeptanz zu bekommen, spricht das nicht für alle Unternehmen. Wenn die Kunden nicht darauf schauen, kann es den Unternehmen auch egal sein. Spätestens dann, wenn der Quartalsbericht einmal mehr bessere Zahlen als der zuvor beinhalten muss. Das kann nicht mit dem heren Ziel zusammenkommen, dass Wirtschaft und Kapital sich den Menschen unterzuordnen haben.

Dass sich Wirtschaft und Kapital von den Menschen entfernt haben erkennt man daran, dass wachsende Unternehmensgewinne längst kein Garant mehr für eine gute Beschäftigungsquote ist. Zum Jahresende 2005 zeigten sich Industrie und Mittelstand optimistisch, es war mal wieder so etwas wie Konsumlust zu spüren. Schließlich gibt es seit der Flaute seit 2002 mit der Euroumstellung einen Stau bei der Anschaffung langlebiger Konsumgüter. Doch bei solchen Zwischenhochs, zu denen auch die Fußball-Weltmeisterschaft beitragen werde, sehen Experten keine Chance für eine Besserung am Arbeitsmarkt. Da können die Unternehmensgewinne noch so steigen – die angespannte Lage am Arbeitsmarkt wird sich nicht bessern. Schließlich wird es schon als Drama angesehen, wenn gesetzte Ziele die weit im schwarzen Gewinnbereich liegen nicht erreicht werden. Insbesondere börsennotierte Unternehmen brauchen jeden müden Euro um andere Unternehmen zu kaufen, um dies dann als Wachstum verkaufen zu können.

3.10.2. - Vergleich zwischen dem heutigen Kapitalismus und den Diktaturen des 20. Jahrhunderts

Die Regeln des Kapitalismus sind kein Naturgesetz

Der Kapitalismus hat also sein Gesicht verändert. Anno 1989 wurde der Niedergang des Sozialismus als Triumph der freien Marktwirtschaft gefeiert. Heute im neuen Jahrtausend, der Zukunft von gestern, wird der sich kalt gebärdende Kapitalismus von einer Allianz aus Konservativen, Liberalen, Linken, Wissenschaftlern, Philosophen und Schriftstellern von verschiedenen Kontinenten als Bedrohung wahrgenommen. Wenn selbst Vorstände lieber anders handeln würden, als es die Gesetze des freien Marktes scheinbar erzwingen, fragt man sich, ob diese Gesetze wirklich so unabänderlich, so festgeschrieben sind.

Gibt es wirklich einen Zwang, Firmen zu schließen, Massenentlassungen vorzunehmen, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, die Natur zu verdrängen, Sozialleistungen zurückzufahren? Einst wurde der Kapitalismus als Trutzburg des freien Denkens gegenüber den Linken, den Marxisten verteidigt. Heute hat sich offensichtlich politischer Wille und Moral dem Wirtschaftswachstum und der Wettbewerbsfähigkeit unterzuordnen.

Die Gesetze des Kapitalismus sind nicht unabänderlich, wenn seine heutige Form nicht mehr als eine totalitäre Ideologie ist. Eine Weltanschauung, die ihre Gesetze zu Naturgesetzen überhöht und sich über alles stellt. Ähnliches kennt man von den links- und rechtsradikalen totalitären Ideologien des 20. Jhds. Die Moral wird ausgeschaltet und die Regeln des freien Marktes steuern darwinschen Gesetzen gleich Aufstieg und Untergang ganzer Länder und sogar kulturelle Strömungen. Wer untergeht ist vorherbestimmt. Waren es bei den Braunen die schlechtrassigen Völker sind es heute diejenigen, die dem freien Markt mit Regulierungen Widerstand leisten.

Wie dem Kommunismus und dem Nationalsozialismus ist sich der neue Kapitalismus selbst genug. Er ist für sich schon die Verkörperung der Demokratrie. Schließlich könne man über jeden Kauf selbst entscheiden, weshalb Unternehmen moralisch korrekt handeln müssten und auch Selbstverpflichtungserklärungen einhalten müssten. Wer’s glaubt......
Der Kapitalismus gedeiht prächtig in Diktaturen und auch in unserer bundesdeutschen Demokratie gibt es Ausbeutung und Unterdrückung durch Unternehmen, selbst wenn es das Volk nicht will.

Wenn heute die Staaten der EU wieder zu mehr Protektionismus neigen, schimpft die EU-Kommission, das Wirtschaftswachstum sei gefährdet. So prangert die EU-Kommission u.a den Schutz der Staaten ihrer Energiekonzerne an. Wegen mangelnder Öffnung der Strom- und Gasmärkte hat die EU-Kommission im April 2006 gegen 16 Mitgliedsstaaten Verfahren wegen Vertragsverletzung eingeleitet. Es soll also alles gehandelt werden können. Staatliche Kontrolle soll außen vor bleiben. Alles muss sich dynamisch entwicklen können, nichts darf mehr statisch sein. Alles wird in Frage gestellt und muss den Regeln des Wettbewerbs standhalten. Auch das Traditionelle und Individuelle. Dass es am Ende nur das Eine, frei gehandelte, nicht staatlich geregelte, betriebene oder kontrollierte gibt, macht diesen Kapitalismus noch mehr zum totalitärem System. Es kommt nicht zur Ruhe, bis alles endgültig in seinem Sinne ist und sich seiner Herrschaft unterworfen hat.

Unser heutiger Kapitalismus gibt sich nie mit dem status quo zufrieden. Wie andere totalitäre Systeme findet er nie seine Erfüllung und zwingt seine Individuen zur Expansion. Man muss wachsen um des Wachstums willen. Wenn ein Unternehmen nicht wächst, geht es angeblich ein wie eine Primel. Komisch, dass so manche Bäckerei oder Metzgerei über Jahrzehnte mit nur einem einzigen Geschäft ohne Expansion fortbestehen konnte.
Und um den Kapitalismus vollständig in die Gattung totalitärer Systeme einordnen zu können, versteht es der Kapitalismus sehr gut, seine Individuen in steter Unsicherheit verharren zu lassen. Wer verunsichert ist, findet keine Zeit und Muße widerständig gegen das System zu handeln. Abgeschafft nach einem harten Arbeitstag läßt man sich in den Fernsehsessel sinken und zieht sich dumpfe Massenunterhaltung rein. Hochkultur, die das totalitäre System hinterfragen könnte wird als schwere Kost abgelehnt. Im Privatfernsehen ist sie sowieso nicht konkurrenzfähig und wird nach den Regeln des freien Marktes nicht angeboten. Die Unsicherheit wird durch flache Hierarchien, der Forderung nach lebenslangem Lernen und Flexibilität geschaffen. Die flachen Hierachien ermöglichen es, sich sprunghaft und ungebunden nach Maßgabe des Shareholdervalues bewegen zu können. Ähnliches gab es unter Stalin nach dem „der Diktator durch das Fehlen der Hierarchien unabhängig von seinen Untergebenen die [...] überraschenden Wendungen seiner Politik vornehmen kann.“ Sowie „[...] das plötzliche Auf und Ab der Berufskarrieren verhindern jedes Sicheinarbeiten“ (geschrieben über die Sowjetbürokratie unter Stalin). Routine und gleichmäßige Arbeit wird vom Kaptitalismus abgelehnt. Man muss ständig an sich arbeiten, dazulernen und nach neuen Zielen suchen.

Deutsche Welle: EU sieht Gespenst des Protektionismus
Die Zeit

3.11 - Portfolios, Manager und ihre Sammlungen

Manchmal erwecken Portfolios den Eindruck, bloße Münzsammlungen für Manager zu sein, die sie sich lümmlend auf dem Sofa angucken. Wenn da eine Serie nicht mehr passt, wird sie eben verkauft und vielleicht eine andere Serie hinzugekauft.
So geschehen Ende 2005 mit der zur DaimlerChrysler gehörenden MTU.

Die MTU geht auf die 1909 von Ferdinand Graf Zeppelin und Wilhelm Maybach in Friedrichshafen am Bodensee gegründete Motorenbau GmbH zurück. Die Motorenbau GmbH ging 1960 an DaimlerChrysler und mit einer Zusammenarbeit mit MAN wuchs sie 1969 zur Motoren- und Turbinenunion. MTU steht 2005 gut da. Um 17 Prozent soll der Umsatz auf 1,58 Milliarden Euro gestiegen sein. Doch es müssen mehrere hundert Millionen Euro investiert werden, die sich Daimler Chrylser nicht leisten konnte.

Nach einigem hin und her mit den Gründerfamilien verkaufte DaimlerChrysler nach Auslotung der Kaufinteressenten EQT, MAN und KKR die MTU an die schwedische Beteiligungsgesellschaft EQT. Nach offizieller Lesart diente der Verkauf aber nur der Konzentration auf den Automobilbau. Ist also alles bestens, weil DaimlerChrysler seiner Konzentration auf den Automobilbau fortsetzen kann und EQT die bis 2010 geltende Standortgarantie respektiert werde?
Es bleiben ein paar Feststellungen und Fragen:

Gegen massive Proteste der Gründerfamilien Brandenstein-Zeppelin und Schmid-Maybach setzte DaimlerChrysler ein Liquidationsverfahren durch, womit das Vetorecht der Gründerfamilien unwirksam wurde und sie so „in einer vernünftigen Entscheidung“ ihre Anteile an DaimlerChrysler verkauften. Der Konzern konnte dann alleinig über den Verkauf an EQT entscheiden.
Es muss mal öffentlich gesagt werden, dass die Verfolgung einer Mode - die Mode der Diversifizierung - in der Wirtschaft durch DaimlerChrysler demnach falsch war. Schließlich hatte der Autokonzern u.a. in der Luft- und Raumfahrt Beteiligungen. Was kommt nach dem Trend der Konzentration auf das Kerngeschäft? Schließlich müssen sich neue Vorstände und Manager einer Aktiengesellschaft immer wieder was neues einfallen lassen und Trends und Moden in der Wirtschaftswelt aufgreifen.
Was heißt, "die EQT respektiert die bis 2010 geltende Standortgarantie bei MTU Friedrichshafen"? Was ist im Jahr 2011 und später?
Was ist, wenn mal kein sprunghaftes Wachstum mehr möglich ist, weil die Wachstumsmöglichkeiten erschöpft sind und es gerade mal keinen Wachstumskurs gibt, den man als Finanzinvestor begleiten könnte? Werden dann doch Pläne für Stellenabbau aus der Schublade gezogen, weil es sonst eine zu geringe Rendite gibt?
Sind Unternehmen nur attraktiv wenn man nicht investieren muss und nur sprunghaftes Wachstum möglich ist? Zählt Beständigkeit nichts? Geringes Wachstum eines Unternehmens heißt lange nicht, das es rote Zahlen schreibt oder wertlos ist.

BNN, 29.12.2005: DaimlerChrysler verkauft MTU an Schweden

3.12 - Die Utopie des immerwährenden Wachstums

Stöbert man im Internet und in anderen Medien, zeigt sich, dass immer mehr Menschen erkennen, dass das gegenwärtige Denken und Streben nach mehr Wachstum in einer Sackgasse endet. Dies wird nun anhand verschiedener Aspekte beleuchtet.

3.12.1 - Der Vergleich mit Boomstaaten wie China hinkt

Alle schauen zu China mit seiner boomenden Wirtschaft auf. Das gilt als Vorbild. Exponentielles Wachstum ist und bleibt der Maßstab aller Dinge. Und wenn nun die Wachstumskurve der deutschen Volkswirtschaft eher linear ansteigt, wird aller Orten nach Programmen à la "Fit für mehr Wachstum" verlangt. Das Ziel liegt fest, das Problem scheint das "wie" zu sein. Doch liegt man mit dem Ziel nicht falsch?

Unsere heutige starke Volkswirtschaft müsste jedes Jahr durch Konsum und Investitionen Zuwächse auf sehr hohem Niveau erzielen, wollte sie ein konstantes relatives Wachstum erreichen. Zu Zeiten des Wirtschaftswunders war dies leichter. Eine 3 prozentige Steigerung des BIP war 1955 schon für 12 Mrd Euro zu haben. Im Jahre 2003 wären 60 Mrd Euro nötig gewesen. Dies ist die Krux des exponentiellen Wachstums, jedem Rekordjahr muss ein neuer Rekord folgen, die schlichte Wiederholung bisheriger Erfolge reicht nicht.
Das Institut für Wachstumsstudien (IWS) stellt in seiner Kernaussage dar, dass die deutsche Volkswirtschaft in den letzten fünfzig Jahren linear gewachsen ist. Deshalb ist die Annahme, "was gestern ging, geht heute auch" falsch. Die heißgeführten Wahlkämpfe um mehr Wachstum, Wachstumsversprechungen, Anstrengungen und Opfer für mehr Wachstum mit Reformen und Lohnverzicht waren in den vergangenen Jahren, in denen der Begriff "Wachstum" Hochkonjunktur hatte umsonst. Für die Katz. Um 1955 lagen die Wachstumsraten bei 8%, um 1970 bei 4% und um 2000 bei 2%. Die deutsche Volkswirtschaft wuchs aber dennoch kontinuierlich. Und zwar linear in jedem Jahrzehnt um etwa 300 Milliarden Euro. Wirtschaftspolitik, Wirtschaftsinstitute und Medien müssen sich daher mit sinkenden Wachstumsraten abfinden. Es müssen Konzepte für den Umgang mit sinkenden Wachstumsraten entwickelt werden, statt Energie und Hoffnungen in ein utopisches exponentielles Wachstum zu stecken.

Das IWS stellt fest, dass seit den 70er die Wachstumskurve vom exponentiellen Ideal abweicht. Bei der "Schlusslichtdebatte" wird gerne auf andere Länder verwiesen - ohne deren niedrigeren sonstigen Wirtschaftskennzahlen zu beachten. Gerne vergleicht man die Wachstumsraten der deutschen Wirtschaft mit jener von China. Dieser Vergleich hinkt und ist unseriös. China weist derzeit durchaus ein exponentielles Wachstum vor. Das BIP von Deutschland wies um 1900 ein ähnliches exponentielles Wachsum auf. Genau auf diesem Niveau befindet sich heute China. Das China von 2006 ist mit Deutschland um 1900 vergleichbar. Eine industrialisierte Volkswirtschaft in den Anfangsjahren. Das deutsche Pro-Kopf-BIP ist dem chinesischem um 106 Jahre voraus und rund vier Mal so hoch.

Ein Vergleich mit anderen entwickelten Volkswirtschaften zeigt, dass sich die Bundesrepublik in guter Gesellschaft befindet. In 16 europäischen (inkl Deutschland, u.a. Frankreich, Italien, Niederlande, Schweiz, Österreich, Niederlande), nordamerikanischen (Kanada) und anderen (Japan, Neuseeland) Ökonomien stieg das BIP von 1950 bis 2001 betrachtet linear. Die Wachstumsraten sanken. Das BIP der USA stieg in diesem Zeitraum zwar nichtlinear, jedoch sinken auch hier die Wachstumsraten. Konstante Wachstumsraten sind die große Ausnahme, sinkende Wachstumsraten mit vorranschreitender Entwicklung der Ökonomie die Regel.

Quellen:
IWS - www.wachstumsstudien.de
Aufsatz des IWS: Normalfall exponentielles Wachstum?
Aufsatz des IWS: Konjunktur eines Begriffs - Wachstum in Wahlkämpfen und Medien

3.12.2 - Naturschutz und FFH-Gebiete als Sündenbock einer um sich schlagenden Wirtschaft

Beispiele A380-Politikskandal Mühlenberger Loch / Flächenverbrauch für IKEA / Abholzung von Wäldern

"Wir wollen wachsen" hört man immer wieder vollmundig von Konzernen sagen, wenn sie wieder mal Aktionären gefallen und sich musterschülermäßig präsentieren wollen. Planwirtschaftsgleich werden die Umsatz- und Gewinnzuwächse der nächsten Jahre abgesteckt. Mit der Expansion wollen Filialisten die Konkurrenz ausstechen. Auch Städte und Gemeinden wollen wachsen, um den Status einer Stadt zu erlangen, das Gewerbesteueraufkommen zu erhöhen, expandierende Betriebe zu halten oder mehr Landes-/Bundeszuschüsse zu bekommen. Nicht selten funktioniert dies nicht ohne erhöhtem Verbrauch an Ressourcen. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein höchst dicht besiedeltes Land. Doch ständig verschwindet wertvoller Boden unter Einfamilienhäusern, Erschließungsstraßen und Einkaufszentren. Die offene Landschaft wird von immer mehr Straßen zerschnitten. Einst idyllische Talgründe werden mit Gewerbegebieten, Discountern und Parkflächen ausgefüllt, an den Hängen nagen die Wohnsiedlungen. Staat und Wirtschaft leisten sich damit einen Offenbarungseid, wenn wegen wirtschaftlicher Schwächen auf hohem Niveau die Natur der deutschen Lande zerstört wird und von weniger entwickelten Ländern der Schutz des Regenwaldes gefordert wird.

Trotz verwaister Gewerbegebiete an anderen Stellen wird mit den immer gleichen Argumenten wie "Standort" und "Arbeitsplätze" eine Erschließung durchgeboxt und mit Ausgleichsmaßnahmen beschönigt. Doch die sind meist eine Farce. Denn nie wird eine bestehende bebaute Fläche für eine neu bebaute Fläche renaturiert. Die Erde wächst nicht. Neuer Boden kann also zum Ausgleich nicht entstehen.
Der Ausgleich geschieht durch ökologische Aufwertung vorhandener Acker- oder Grünlandflächen. Es wird also nur bestehendes Grün noch grüner gemacht. Eine Bewertung der alten und neuen Flächen und der Maßnahmen soll der Berechnungsgrundlage für den Ausgleich auf dem Ökokonto dienen. All zu oft kommt der Verdacht auf, man wolle möglichst viel Fläche mit möglichst wenig Maßnahmen ausgleichen. Alter und neuer Bestand werden daher unterbewertet, die Maßnahmen überbewertet. Z.b. wird eine kulturlandschaftlich interessante Ackerfläche durch eine Baumallee auf einem Grünstreifen ausgeglichen. Geplante Pflegeprogramme für Ausgleichsflächen werden oft nicht umgesetzt.
Wenn sich keine Ausgleichsflächen finden, gibt es oft Grünordnungspläne für das Neubaugebiet. Die werden jedoch oft nicht durch die neuen Eigentümer eingehalten, eine Überwachung ist spärlich.
Einer Ausgleichsfläche kann es auch passieren, dass sie für ein anderes Vorhaben überbaut wird. Einen doppelten Ausgleich gibt es dann nicht.

Während im Jahre 1950 Siedlung und Verkehr nur 7,1 % der Fläche von Westdeutschland beanspruchte, verteilten sich im Jahre 2001 die Nutzungen in Deutschland (Baden - Württemberg) wie folgt: Siedlung und Verkehr 12,3% (13,2%), Landwirtschaft 53,5% (46,8%), Wald 29,5% (38,0%), Wasser und Sonstiges 4,3% (2,0%). Die beanspruchten Siedlungsflächen stiegen seit 1950 viermal mehr als die Bevölkerung wuchs. Und noch immer werden ungeachtet des demographischen Wandels und Stagnation im Bevölkerungswachstum in Deutschland täglich gut 90 Hektar Freifläche zu Siedlungs- und Verkehrsflächen verbaut. In den zurückliegenden 50 Jahren wurden weltweit mehr Siedlungsfläche verbraucht als in den 4000 Jahren Siedlungsgeschichte davor. Wir sind an einem Endpunkt des Erträglichen angelangt. Ein gesunder Boden ist für einen gesunden Wasserhaushalt notwendig. Die offene Landschaft ist Lebensraum und Lebensgrundlage für Natur und Mensch. Und doch ist vielerorts der Mensch nicht mehr von der Natur, sondern die Natur von Siedlungen, Straßen, Industrie und Gewerbe umgeben.

Für den A380 haben sich Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der Hamburger Senat und Behörden in skandalöser Weise an der Natur vergangen. Und der Schaden ist für ein zweifelhaftes Unternehmen nicht wieder gut zu machen. Wir schreiben das Jahr 2001. Noch schätzt sich der NABU (Naturschutzbund Deutschland) im Januar glücklich, dass das Hamburger Verwaltungsgericht vor der Entscheidung über die Klage der Naturschutzverbände gegen den Planfeststellungsbeschluß "DA-Erweiterung A3XX" (15 VG 3932/2000) vorläufigen Rechtsschutz gegen diesen Planfeststellungsbeschluß verhängte. Die geplante Zuschüttung der Elbbucht "Mühlenberger Loch" wurde zunächst gestoppt. Die DASA-Flugzeugwerft in Hamburg-Finkenwerder sollte für den A380 erweitert werden. Auf einem fünftel der Fläche des Mühlenberger Lochs sollen Montagehallen entstehen. Doch dann entscheidet dass Verwaltungsgericht am 15. Januar 2001, den Naturschutzverbänden stehe gegen den Planfeststellungsbeschluß "DA-Erweiterung A3XX" keine Antragsbefugnis zu. Eine Verbandsklage sei nur gegen Eingriffe in Naturschutzgebiete möglich. Dass das Landschaftsschutzgebiet den hohen Rang eines europäischen Naturschutzgebietes hatte wurde übersehen. Zudem hebt das hamburgische Oberverwaltungsgericht den vorläufigen Baustopp wieder auf. Weitere Klagen von Verbänden und Bürgerinitiativen scheiterten oft am mangelnden Recht zu klagen oder am mangelnden relevanten Tatbestand (Klage gegen Fluglärm wurde abgewiesen da vorerst nicht zu erwarten.)
Das Verwaltungsgericht befand noch, die Zuschüttung für den Ausbau diene nicht dem Gemeinwohl und es sei nicht nachgewiesen, dass durch den Bau des A380 dauerhaft eine bestimmte Anzahl von Arbeitsplätzen geschaffen würde. Die Arbeitsplätze waren zudem teuer erkauft. 1,8 Milliarden Mark versenkte Hamburg im Mühlenberger Loch.

Der Hamburger Senat erließ dann auch später das "Lex Airbus", um die Gemeinnützigkeit der Airbus-Arbeitsplätze festzuschreiben. 170 Ha des 675 Hektar großen Mühlenberger Lochs wurden ab Mitte 2001 zugeschüttet. Das Mühlenberger Loch ist eine große Elbbucht südlich der weiten Elbe, die sich mit dem Alten Land und dem über 80 m steil aufragenden Stadtteil Plankense zu einem Landschaftsensemble zusammenfügt. Es war das letzte große Flachwasser- und Süßwasserwattgebiet der Tideelbe. Vögel wie Löffel- und Krickente und Fische schätzten dieses Gebiet als Rastplatz und Kinderstube. Die zahlreichen Prädikate schützten die Bucht nicht: Landschaftsschutzgebiet, EU-Vogelschutzgebiet und Natura-2000-Gebiet (FFH) nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie. Die EU-Umweltkommissarin Margot Wallström verweigerte zunächst eine Ausnahmegenehmigung für das Vorhaben in dem FFH-Gebiet, da die Voraussetzungen für einen rechtzeitigen und vollständigen Ausgleich des Eingriffs im Netz der europäischen Schutzgebiete nicht gegeben waren. Dann kam aber der Gerd und Schröder schrieb an den seinerzeitigen Kommissionspräsidenten Prodi. Und schwupp die wupps lag die Genehmigung auf dem Tisch.

Ausgleichsmaßnahmen wurden nur für die zugeschüttete Fläche gefordert. Der BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) bemerkt, ein etwa ebenso großes Wattfeld südlich der Zuschüttung drohe zu verlanden. Die Harmonie der Natur wurde zerstört. Und die getroffen Ausgleichsmaßnahmen sind ein Witz. Abgesehen davon, das die vielen einzelnen Maßnahmen weder der Großflächigkeit gerecht werden noch vor Ort sondern mangels Fläche weitab von Hamburg in Niedersachsen und Schleswig-Holstein vollzogen wurden, wurde die Natur doppelt geschädigt. Ein ebenfalls unter europäischen Schutz gestelltes Gebiet (Haseldorfer Marsch) sollte zum Ausgleich verändert und damit ebenfalls zerstört werden. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig gab jedoch den Verbänden recht. Die Haseldorfer Marsch ist gerettet. Damit fiel schon mal eine Ausgleichsfläche aus, Bemühungen um Alternativen gibt es nicht. Eine weitere bisher landwirtschaftlich genutzte Fläche weit, weit weg von Hamburg (Hörner Au) wurde vernässt und extensiviert. Das ist für die Tierwelt des Mühlenberger Lochs so interessant wie das Liebesleben der Pflastersteine. Und eine dritte Maßnahme auf der Elbinsel Hahnöfersand belegte, dass die Natur im Spiel der Strategien nicht immer mitspielt. Abbagerungen für neue Wattbereiche verlanden wieder, Weidenbüsche siedeln sich an und von den hunderten Löffelenten, die von 9,5 Enten je Hektar Mühlenberger Loch rechnerisch dorthin umsiedeln sollten, fanden dies nur drei dutzend attraktiv.

Um das Mühlenberger Loch wurde zum Vorteil von Airbus ein Politikskandal veranstaltet. Befangene Behörden spielten bei Antrag, Prüfung und Genehmigung einander zu. Mit Lügen und Propaganda wurde versucht, die Bevölkerung auf die Seite der Befürworter zu ziehen. Und für was? Die Planrechtfertigung verfällt Stück für Stück. Erst wurde die Endmontage nach Toulouse verlegt, nur der Innenausbau blieb. Dann überstürzen sich seit Herbst 2006 die Meldungen zur Airbuskrise. Möglicherweise werden auch die letzten Fertigungsanteile des A380 im Tausch gegen kleinere Modelle aus Hamburg verschwinden. Bürger, Landwirte und Verbände kämpfen weiterhin gegen den Einstieg, aus der reizvollen Hamburger Elbregion ein Industrierevier zu machen.

FFH Gebiete wie das Mühlenberger Loch geraten immer wieder ins Visier der Planer. Hier wird polemisiert. Mit Sozial ist was Arbeit schafft werden Umweltschützer diskreditiert.

Die Staaten Europas hatten erkannt, dass der Artenschwund und die Vernichtung von Lebensräumen gebremst werden muss. Aus diesem Grunde wurde das ergeizige Ziel gesetzt, unter dem Namen Natura 2000 ein grenzüberschreitendes europaweites Netz von Schutzgebieten zu schaffen. Mit der Fauna-Flora-Habitat Richtlinie aus dem Jahr 1992 und der Vogelschutzrichtlinie aus dem Jahr 1979 standen die rechtlichen Instrumente zur Verfügung, um Lebensraumtypen, Tier- und Pflanzenarten in ihrer Vielfalt zu bewahren. Die Mitgliedstaaten hatten nach der FFH-Richtlinie solche Gebiete benennen, die für bestimmte, in den Anhängen der FFH-Richtlinie genannten Lebensräume und Arten von großer Bedeutung sind. Wirtschaftliche und politische Überlegungen hatten bei der Auswahl hinten anzustehen. Der EU war es vorbehalten, aus den Meldungen solche Gebiete zu wählen, die für das europaweite Schutzgebietsnetz von Bedeutung sind. Deutschland und insbesondere Bundesländer wie Baden-Württemberg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sträubten sich lange Zeit gegen ausreichende Meldungen. Von einem Netz war lange Zeit nicht zu sprechen. Erst finanzieller Druck der EU und eine gute Arbeit der Naturschutzverbände haben schließlich die Länder zu Nachmeldungen bewogen. Die gemeldeten Gebiete machen in Deutschland nur knapp 10% der Landesfläche aus. Damit teilt sich Deutschland mit anderen Staaten wie Holland, Großbritannien und Frankreich die letzten Plätze in der Meldungsliste. Länder wie Estland, Griechenland und Ungarn liegen vorn. Der europäische Mittelwert liegt bei 12,2%.

Bei den FFH-Gebieten im NATURA 2000-Netz ging es nie um eine Blockade des Wirtschaftens und Planens. Bei einem derart geringen Anteil der Landesfläche kann davon keine Rede sein. Es geht um die Erhaltung des europäischen Naturerbes.
Bezüglich Bebauung, Land- und Forstwirtschaft sind die FFH-Gebiete auch kein Korsett. Allerdings muss solches Handeln im Einklang mit den Erhaltungszielen sein. Insbesondere bei Bauprojekten ist eine Prüfung der Verträglichkeit erforderlich.

Im mittleren Oberrhein zwischen Bruchsal, Karlsruhe, Rastatt und Bühl registriert der Autor dieses Dossiers ein Wettrüsten der Gemeinden mit Baugebieten. Jeder Bürgermeister möchte beim werben um Gewerbe und Einwohner gewinnen. "Das schönste Land in Deutschlands Gau'n" heißt es so schön im Badnerlied. Doch mit der Ausbreitung von Betonschachteln für Einkaufszentren und Betrieben geht die Ästhetik dahin. Die Weite der Oberrheinebene weicht der Zersiedlung.

Seit 2005 schickt sicher der Möbelriese IKEA an, den Oberrhein zwischen Karlsruhe und Bühl aufzumischen. Zunächst klopfte IKEA im Frühjahr 2005 bei der Karlsruher Stadtverwaltung an und wurde von der zuständigen Wirtschaftsförderung vor die Tür gesetzt. Gerüchte und der Verdacht kommt auf, die Stadtverwaltung wolle ein bestehendes großes Möbelhaus ("Mann" an der A5 Ausfahrt Karlsruhe-Durlach) vor der Konkurrenz schützen. Tatsächlich sieht aber auch der Flächennutzungsplan keine Fläche für ein Einrichtungshaus von der Dimension eines IKEA vor. Von Befürwortern wird immer das zwischen dem Osten Karlsruhes und dem Stadtteil Durlach liegende Gebiet "Untere Hub" ins Spiel gebracht, das aber als eine der letzten Freiflächen als Grünzäsur (im Regionalplan ausgewiesen), Frischluftschneise und Erholungsgebiet dient.

Daraufhin tingelt IKEA durch die Region. Nach Baden-Baden, Bühl, Pforzheim und Ettlingen. Und wurde schließlich im Herbst 2005 in Rastatt fündig. Dort fand IKEA eine Fläche wie IKEA es mag. Das Gewann "Stockfeld" hält die Stadt Rastatt für die benötigten 60.000 Quadratmeter für besonders geeignet. Wie andernorts an den Autobahnen und Schnellstraßen der Republik auch, soll hier ein freies Feld (knapp 12 Hektar groß) bebaut und die Verkehrswege an große Besucherströme angepasst werden. Und um von dem Feld, von dem bislang nur Feldfrüchte geernted wurde, möglichst viel Geld abzuschöpfen, ist neben einem "medium store" (=mittelgroßer IKEA) noch ein "FurnitureCompetenceCentrum" (Sachen die man zum Wohnen braucht) entstehen.
Damit konnte Rastatt Ätschebätsch zu Baden-Baden sagen, das zur vollen Provokation Ende 2006 ein Fachmarktzentrum für die übliche MediaMarkt-H&M-Bagage fertigstellte. In der Landesentwicklungsplanung wird für nachgeordnete Planungen grob schematisiert und Orte werden in Zentren klassifiziert. Da strebt natürlich jedes kleinere Zentrum die nächste Kategorie an. Rastatt an sich ist für einen IKEA mit überregionaler Magnetkraft viel zu klein, als muss das Stockfeld zum Sondergebiet und Rastatt zum "Mittelzentrum mit oberzentraler Teilfunktion Wirtschaft" erklärt werden. Verrenkter kann ein Begriff nicht sein. Was da vom schönen Badnerland zugebaut wird, interessiert das Regierungspräsidium Karlsruhe nicht. Hauptsache, so wird man sehen, das Sortiment passt und das Zentrum hat den richtigen Namen. Begründet wird das ganze Vorhaben mit dem üblichen Geschwafel der Schaffung von Arbeitsplätzen, ungeachtet der Tatsache, dass diese im gesättigten Einzelhandel entstehen und so durch Abbau an anderen Orten möglich sind.

Das fuchst natürlich Leute an entscheidenden Stellen im Oberzentrum Karlsruhe. Im heißen Herbst 2005 geht es dort zu wie im Kindergarten. Zündstoff gibt es dabei durch den Verkauf des Einrichtungshauses Mann Mobilia an XXXLutz und dem damit verbundenen geplanten Abbau von Arbeitsplätzen im Bereich der Verwaltung. Die SPD-Gemeinderatsfraktion unter Vorsitz von Frau Doris Baitinger schwärzt die Stadtverwaltung und insbesondere die Wirtschaftsförderung an, die Sache mit IKEA verschlafen zu haben. Interessant für eine sich sonst so schöngeistig und intellektuell gebende Partei, die nun für unästhetische Verbauung von Landschaft und unkreativem Einkaufsverhalten eintritt.
Das fordert natürlich den Oberbürgermeister Heinz Fenrich heraus. Verstärkt führt er in den folgenden Wochen vertrauliche Verhandlungen mit dem in der breiten Bevölkerung beliebten schwedischen Möbelhändler. Als Trumpfkarte meint er die "Untere Hub" als große Freifläche mit Autobahnanschluß zu haben. Doch da machte natürlich der Gemeinderat mit der starken Macht aus SPD, Grünen, Karlsruher Liste und Teilen von FDP nicht mit. Sie entschieden Ende November 2005 in einer Sitzung, dieses Grün- und Ackerland nicht für einen blauen Klotz herzugeben. Der OB bedauert die verpasste Chance einer Ansiedlung von IKEA und die CDU-Fraktion bangt um den Titel Karlsruhes als attraktive Einkaufsstadt. Obwohl tatsächlich die "Untere Hub" bei Vergleich mit anderen IKEA-Standorten so ziemlich der einzigste geeignete IKEA-Standort auf Karlsruher Gemarkung wäre, läßt die SPD-Fraktion nicht locker. Als selbsternannte Retterin der "Unteren Hub" wirft sie OB Fenrich und der CDU-Fraktion Legendenbildung vor, indem der Gemeinderat mit der Ablehnung der "Unteren Hub" eine Niederlassung von IKEA unmöglich mache. Blauäugig stellt die SPD fest, IKEA müsse sich mit den Vorstellungen einer Stadtverwaltung für Alternativstandorte arrangieren. In seltener Einigkeit mit der IHK weisen die Grünen darauf hin, dass die Anzahl der Arbeitsplätze pro Fläche zu gering sei. Ikea wolle eine standardisierte Bauweise und viele ebenerdige Parkflächen. Dabei werde auf Flächenverbrauch keine Rücksicht genommen.

Nun kommt der dritte Akt. Im Oktober 2006 erklärt das Regierungspräsidium Karlsruhe, die Konzeptionen der Schweden verstoße gegen die Landesentwicklungs- und Regionalplanung. IKEA halte in Rastatt für innenstadtrelevante Sortimente wie Lampen, Gardinen, Gegenstände für Bad, Küche und Wohnen 10000 Quadratmeter für notwendig, was nicht genehmigungsfähig sei. Das man auch die auf weit größerer Fläche angebotenen Möbel ebenfalls in platzsparenden innerstädtischen Läden kaufen kann, interessiert das RP dabei nicht. Also streckt IKEA seine Fühler wieder nach dem nördlich von Rastatt gelegene Karlsruhe aus. Im Februar 2007 vermeldet dann IKEA, man wolle auf das zusätzliche Kompetenzzentrum mit den innenstadtrelevanten Angeboten verzichten. Damit würde IKEA der Argumentation des Regierungspräsdiums gerecht. Dem Badnerland nutzt das allerdings nichts. Neben einer flächenverbrauchenden IKEA-Filiale würde auf dem Acker bei Rastatt nach IKEA-Wünschen statt des Kompetenzzentrums ein Baumarkt und ein Küchenmarkt entstehen. Als ob die Region Mittlerer Oberrhein auf noch mehr derartiger Märkte in der Pampa angewiesen sei.

Deutschlandweit spielen sich in Zusammenhang mit IKEA solche Spielchen ab. Verbände und Bürger wehren sich gegen die Verbauung der Landschaft. Für ein höchst ungünstiges Flächen-Arbeitsplatz Verhältnis werben Politiker und Gemeinden um die Vorhaben.
Im Jahre 2003 konnte bei Seligenstadt (Landkreis Würzburg) durch den Bund Naturschutz in Bayern der Bau eines 36 Hektar großen Distributionszentrums verhindert werden. Es sollte die IKEA-Filialen in Süddeutschland versorgen. Das Landratsamt sah durch Zerstörung einer intensiv genutzten Ackerfläche keinen ökologischen Schaden. Bei genauerer Betrachtung war jedoch der Lebensraum vieler Rote-Liste-Arten wie Feldhamster, Rebhuhn, Rohr- und Wiesenweihe gefährdet. Das Landschaftsbild wäre mit Flachdachhallen mit Kantenlängen zwischen 170 und 320 Metern und 30 m Höhe empfindlich gestört worden. Um die 100 LKW täglich hätten den Verkehr zusätzlich belastet. Beste Gäuböden wären künftigen Generationen vorenthalten worden. Arten der europäischen Vogelschutzrichtlinie hätten ihren Lebensraum verloren.
Bei Fürth wurden für einen IKEA Neubau mit 17700 qm Verkaufsfläche und 1750 Parkplätzen 90000 Baugrund erworben und als Schmuck und Alibi 100 Bäumchen gepflanzt.
Nach einem Bürgerentscheid wird bei Taufkirchen ein IKEA errichtet. Dazu werden 75000 Bannwald gerodet
Mehr zu IKEA? Einfach googeln nach ikea + flächenverbrauch.

Und in der Nachbarschaft von Karlsruhe geht der Landschaftsverbrauch trotz ausreichend vorhandener Gewerbegebiete weiter
Mannheim ist bereits zu 55% zugebaut. Für die SAP-Arena wurde der Lebensraum des Feldhamsters geopfert. Ob die übriggebliebene Population des Feldhamsters überleben wird, steht in den Sternen. Zum Ausgleich mussten Hamster im Heidelberger Zoo nachgezüchtet und in einer hamsterlosen Gegend ausgewildert werden. Für einen IKEA wurden ebenfalls Flächen verbaut.
Obwohl rund 300 Hektar bereits erschlossene Gewerbeflächen im Umkreis der Stadt Bretten existieren, hielt Oberbürgermeister Metzger an der Abholzung von 22 Hektar Rüdtwald fest. Zahlreiche Amphibien und Vögel wurden mit dem Kahlschlag um ihren Lebensraum gebracht. Nur fünf Kilometer entfernt vom Rüdtwald findet sich ein interkommunales Gewerbegebiet mit dem wohlklingenden Namen "Station Zukunft", das noch reichlich Platz für Neuansiedlungen ausweist. Betrieben wird es von vier Gemeinden mit zusammen etwa 20000 Einwohnern, deren größte Oberderdingen heißt. Bürgermeister Thomas Nowitzki sagt, man befinde sich "laufend in Gesprächen mit den Brettenern". Doch die Stadt Bretten, im Landesentwicklungsplan als Mittelzentrum ausgewiesen, beanspruche eigene Gewerbeflächen.
In die Streuobstgürtel um Bruchsal und umliegende Ortschaften haben sich schon vor Jahren Wohn- und Gewerbegebiete hineingefressen. Die Infrastruktur der Dörfer wurden durch zusätzliche Einwohner überlastet und die Ortschaften verkamen zu anonymen Schlafsiedlungen. Ausgleichsmaßnahmen waren entweder nicht vorgesehen oder wurden halbherzig umgesetzt. Für den Verlust von Streuobstwiesen und anderer Lebensräume gab es häufig bestenfalls nur Baumalleen oder Grünstreifen. Die offene Landschaft zwischen Bruchsal und A5 wurde mit großzügigen Straßen und Gewerbegebieten ausgefüllt. Und die Wirtschaftsförderung Bruchsal wird nicht müde, weiterhin Gewerbeflächen zu vermarkten. Ende Februar 2007 hat Bruchsal selbst 10 Ha, die ganze Region der Wirtschaftsförderung zwischen Bruchsal, Philippsburg und Östringen ein vielfaches an Fläche verklopfen.
Als Anreiz für Neuansiedlungen läßt die Stadt Calw auf dem Wimberg eine Ökosiedlung für ca 75 Bauplätze auf einer gerodeten Waldfläche entstehen. Im Regionalplan 2000 noch als Grünzug ausgewiesen, kann der Wald ausgestockt werden, nachdem das Regierungspräsidium am 14.5.2004 eine Zielabweichung zum Regionalplan zuließ.
Die Stadt Bühl wird nicht müde, ständig neue Industrie- und Gewerbegebiete auszuweisen. Zur Bedienung der Nachfrage der Unternehmen nach Expansionsmöglichkeiten fressen sich die Flächen in das Obstland der Oberrheinebene. Rund 230 Hektar stehen Ende 2006 zur Verfügung, 7,5 Hektar sind in Projektierung.

Quellen:
Institut für Städtebau und Landesplanung Karlsruhe: Statistik zur Flächennutzung
ISL Karlsruhe: Landesentwicklungsplanung
Uni Tübingen: Flächennutzung in Baden-Württemberg
Stern 8.11.2004: Deutschland baut sich zu
Bürgerarbeitskreis Bretten: Recht zögerlicher Kampf gegen Flächenverbrauch
www.ka-news.de, 28.11.2005: Kein Elch auf der Hub
Umweltzentrum Karlsruhe: "Untere Hub" - Grün oder Grau?
Wirtschaftsförderung Bruchsal
Umweltforum Mannheim - Mannheimer Bausünden
[PDF] Hamster für Mannheim
Bund Naturschutz, 20.11.2003: Bund Naturschutz begrüßt Entscheidung von IKEA zum Verzicht
br-online: Stadt frißt Land
Bund Naturschutz in Bayern e.V, Kreisgruppe Fürth Land: Wir pflastern unsere Heimat zu
Bannwaldschutz Germering
Grüne Taufkirchen: Bürgerentscheid 2002 bzgl IKEA
Badische Neueste Nachrichten (BNN), 2005-2007: Verschiedene Meldungen zu IKEA in Karlsruhe und Rastatt
Naturschutz heute, 1/2001: Mühlenberger Loch in Not
BUND: Mühlenberger Loch - Süßes Watt bitter umkämpft
BUND: Streitfall Mühlenberger Loch
BUND, 8.4.2005:Mühlenberger Loch: Ausgleich auch nach fünf Jahren nicht umgesetzt
www.elbbucht.de - Initiavie Rettet das Muehlenberger Loch!
Förderkreis "Rettet die Elbe"
NABU B-W: Fragen zu Natura 2000 und FFH
NABU: Natura 2000 - Jahrhundertwerk jetzt vollenden
NABU, 17.2.2006: NABU begrüßt weitere Schutzgebietsmeldungen säumiger Bundesländer
NABU: Natur schützen und Rechtssicherheit schaffen
[PDF] Barometer der FFH-Meldungen
Informationen des Bundesamtes für Naturschutz zu Natura 2000
waldwissen.net - Natura 2000
MLR: Natura 2000 in Baden-Württemberg
Wikipedia: Natura 2000

3.13 - Wege aus dem Wachstumszwang, neue Denkweisen und Alternativen zu Aktiengesellschaften

Carpe Diem - lebe den Tag. Der Shareholder Value hat nicht länger oberste Prämisse zu sein. Dem Streben nach Steigerung des Unternehmenswertes um jeden Preis sollte mehr Menschlichkeit und Zufriedenheit mit aktuellen Gewinnen und Gewinnsteigerungen weichen. Gesamtwirtschaftlich haben so mehr Unternehmen am Markt eine Chance. Die Umsätze werden damit auf mehr Beteiligte - Arbeitnehmer wie Arbeitgeber - verteilt. Die Umsätze werden also im volkswirtschaftlichen Kreislauf besser ausgenutzt und verpuffen nicht in Bilanzen.
Erfolg erstreckt sich nicht nur im Erreichen von hohen Renditen und deren jährlicher Steigerung, sondern auch in ideellen Zielen wie eine zufriedene Gesellschaft.
Die Beschäftigungsmöglichkeiten für Absolventen der Betriebswirtschaftslehre sind zu lukrativ. Es lockt zu sehr leicht verdientes Geld und gut bezahlte Arbeit. Es gibt zu viele Manager und Wirtschaftwissenschaftler, die diesen Berufsweg in der Hoffnung auf viel Geld eingeschlagen haben. Zur Profilierung zerschlagen Jungmanager Unternehmen und rationalisieren sie krank. Penibles Controlling wird bis zur Lähmung der Betriebsabläufe eingeführt. Das hat man ja schließlich an der Uni gelernt und man muss es anbringen, um sich möglichst gut zu verkaufen.
Deutschland braucht weniger Beratungsunternehmen. Die von ihnen verbreiteten Weißheiten kann man meist selbst erarbeiten. So gibt es neuerdings in vielen Firmen Leitlinien, die aber alle irgendwie übetragbar sind und ähnlich klingen. „Wir“- Sätze lassen die Tätigkeit eines teuren Beratungsunternehmens erkennen. Auf die Ideen wäre man kostengünstiger mit einem Knigge gekommen. Unternehmensberatungen nützen meist nur sich selbst. Mit einem nur ihnen verständlichen Kauderwelsch werden Unternehmer und Politiker um den Finger gewickelt und nicht immer das Beste als tollste und einzig mögliche Persepektive verkauft.
Wirtschaft und Kapital haben den Menschen zu dienen und nicht zu beherrschen.
Spekulanten und Fondsvertreter (siehe Union Investment Linde, Grohe ) sollen kein Stimmrecht auf Aktionärsversammlung haben. Sie denken zu kurzfristig und nur an schnelle Rendite. Durch ihren Druck entsteht in den Unternehmen eine innovationsfeindliche Atmosphäre, die nur noch Kostenträgerverwaltung, Stundenerfassung und Humankapital sieht.
Wer Zukunft will, muss das freie Wünschen erlauben. Auf unbedingten Profit ausgelegte Unternehmensziele bietet keinen Platz für Tagträumerei, wo Ideen entstehen können, die sich nicht sofort aber vielleicht später auszahlen. Der Forschung und Entwicklung im Betrieb muss auch Fehlschläge zugestanden werden können. Ein Artikel in den Badischen Neuesten Nachrichten hat dies so aufgegriffen: "Singvögel wie Amsel und Blaukehlchen trällern ihre schönsten und buntesten Liedchen, wenn es um gar nichts geht". Übertragen auf den Menschen ging der Artikel darauf ein, dass Druck auf Kreativität und Innovationsgeist auf den Menschen wie ein zäher Ölfilm wirke, der sich über eine sprudelnde Quelle lege.
Wir müssen zurückkommen zur europäischen Kultur der Unternehmensführung.
Die politischen Parteien befinden sich im Schlepptau eines von den wirtschaftswissenschaftlichen Insituten angeführten Meinungskartells (Heiner Geißler)
Diese Institute müssten eigentlich mal Forschungsarbeiten über jene Kausalitäten machen , diese sich in diesem Dossier aus der Schlußfolgerung von Tatsachen ergeben haben. Man kann sich dem eigentlich nicht verschließen.
Gewinnträchtigen Unternehmen sollte Jobabbau verboten werden.
Jahr für Jahr geben die Aktiengesellschaften in ihren Plänen für das kommende Geschäftsjahr exorbitant wachsende Budgetzahlen aus, die jedoch oft nicht erreicht werden können und die Mitarbeiter unter Druck setzen; sie werden nie die Zufriedenheit erreichen. Doch können unter Druck gesetzte Mitarbeiter performant arbeiten (s.o.)?
Börse und Wirtschaft sind aus mehreren Motivationen heraus dem Dogma verfallen, alles müsse stetig wachsen. U.a.
- weil die Spekulationen an der Börse aus Luftnummern Unternehmenswerte machen.
- weil Unternehmen abgewertet werden, wenn sie nicht genügend wachsen. Gutes wirtschaften und der tatsächliche Wert des Unternehmens spielen dabei keine Rolle.
- meinen die Unternehmen zur Finanzierung von Investitionen ständig wachsen zu müssen und ständig investieren zu müssen um zu wachsen.
Konstante Steigerungsraten erzwingen eine unnatürlich exponentiell steigende Wachstumskurve. Dass diese ewig bis ins Unendliche steigt ist Utopie. Die Theorie des Wachstums sollte ein Hintertürchen für weniger Wachstum offen lassen, da nichts ewig wachsen kann. Ohne Hintertürchen besteht Gefahr, auf Grenzen zu prallen und wie eine Seifenblase zu zerplatzen. Die Erde wird auf Ewigkeiten nur rund 12750 km Durchmesser haben und das Jahr nur 365 Tage. Wenn der Winter länger bleibt, dann verschiebt sich eben das Frühjahr.
Deshalb: Weniger Dogmen, weniger Utopien und weniger Hektik, wenn die Statistik mal nicht den Planzahlen entspricht.
Aktiengesellschaften binden mit zunehmender Größe das Kapital oder investieren es in ferne Länder. Kleinere Unternehmen lassen ihr Kapital in größerem Maße am volkswirtschaftlichen Kreislauf teilhaben. Jede Einnahme, welche die Kunden dem Unternehmen liefern wandert so schneller und mit größerem Anteil wieder zurück in den bundesdeutschen, regionalen oder gar lokalen Kreislauf.
Mittelständische Unternehmen fühlen sich Ihrer Heimatregion und den Mitarbeitern eher verpflichtet, da hier die Unternehmer oft näher am normalen Leben sind. Bei den Chefs der großen Konzerne und erst recht bei den Aktionären ist der Bezug zu Land und Menschen, wenn überhaupt vorhanden, wesentlich geringer. Dabei honororieren die Mitarbeiter ein angenehmes entspanntes Arbeitsklima gewöhnlich mit guter Leistung. Große Konzerne und Aktionäre sollten dies im Hinterkopf behalten und sich in die Region der Standorte reinversetzen.
Es gibt gute Beispiele, wo für einen Börsengang potente Unternehmen nicht an die Börse gegangen sind und andere, passendere und bessere Unternehmensformen gefunden haben.
Für Familienbetriebe, in denen der Inhaber an seinen Ruhestand denken muss, bietet sich die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) an. Die Nachkommen können so nach und nach am Unternehmen beteiligt werden. Großer Vorteil gegenüber der Börse: Die Gesellschafter können ganz alleine bestimmen, ohne rückfragen zu müssen. Dies verschafft Zeitvorteile. Auch steht man für seine Entscheidungen gerade und entscheidet daher nur förderlich für das Unternehmen. Beispiele sind z. B. Hipp, Ketten Wulf, Melitta
In Unternehmen in Familienhand können auch langfristige Entscheidungen ohne Berücksichtigung einer Auswirkung auf den Aktienkurs getroffen werden. Gerade Forschung und Entwicklung können so überdurchschnittlich gefördert werden. So ist man für den Wettbewerb gewappnet, auch wenn sich die Investitionen erst später auszahlen.
Aktiengesellschaften, die einen besonderen Platz in einem Aktienindex anstreben, haben besonders strenge Auflagen zu erfüllen. So muss vierteljährlich ein Geschäftsbericht erstellt werden. Dieser Bericht ist sehr aufwändig, kostet Zeit und kann unnötiger Weise den Kurs drücken und Mitarbeiter demotivieren, wenn der Quartalsbericht mal nicht so gut ausfällt. Hinsichtlich des Jahresabschlusses haben diese nicht unbedingt eine Aussagekraft. Porsche z. B. spart sich den den Quartalsbericht. Dadurch flog der profitable Autobauer zwar aus dem MDAX, geschadet es dem Unternehmen nicht.
Ein Aktiengang bringt insgesamt mehr Bürokratie ins Unternehmen. Nichts kann mehr einfach so mal geschafft werden. Schließlich muss alles gegenüber den Anteilseignern transparent sein. Controlling heißt das Zauberwort und das bis zum Exzess. Das kann auch lähmend auf die Betriebsabläufe wirken, wenn Mitarbeiter zwar da sind und Zeit haben, für jede nicht registrierte Tätigkeit aber erst einen Vorgang einholen müssen. Es entsteht ein Rechtfertigungszwang.
Immer mehr Unternehmen, vor allem solche unter amerikanischer Führung verpflichten sich den guten Zahlen in mittlerweile gar monatlich erscheinenden Geschäftsberichten. Dies macht ernsthaftes wirtschaften unmöglich. Früher ergab das Wirtschaften eines Unternehmens über das Jahr hinweg gute Zahlen. Am Ende hat es eben gepasst. Heute herrscht Mißtrauen gegenüber statistisch nicht belegten Zahlen; Hektik und Druck sind die Werkzeuge um in jedem Monat einen glanzvollen Bericht abzuliefern.
Der alltägliche Börsenbericht in den Tagesnachrichten nimmt für sich in Anspruch ein Bild der Wirtschaftslage abzugeben. Das mag für solche Leute, die sich leicht von bunten Bildern in trockenen Wirtschaftsblättern begeistern lassen überzeugend sein. Tatsächlich nimmt ein großer Teil der Wirtschaft gar nicht am Börsengeschehen Teil. Das Wachsen oder Sinken der Kurse großer Unternehmen gibt keinen qualifizierenden Hinweis über die Wirtschaftslage als ganzes. Wenn z.b. Kunden den Lockrufen eines großen Einzelhandelskonzerns nicht mehr glauben wollten, sondern lieber heimische ehrbare Händler unterstützen, würde das sofort als Krise in der Wirtschaft verkauft werden. Hier liegt das Scheinwerferlicht viel zu sehr auf dem Aktienmarkt, der mit den großen Geldkreisläufen nur allzu oft am eigenen Wohlstand der Bürger und des Staates vorbei geht. Je kleiner und unauffälliger die Unternehmen sind, desto kleiner sind oftmals die Kreisläufe und näher am Bürger.
Vor der Übernahme haben bis zu den 1990er Jahren die Strukturen an der deutschen Börse geschützt. Zur Hochzeit der Deutschland AG sorgten zahlreiche Verflechtungen zwischen den großen deutschen Unternehmen und Finanzkonzernen für einen Schutz nach außen. Mit dem Vorpreschen von Investoren und Fonds und dem Rückzug der Banken aus dem Geschäft zwecks Neutralität für das Investmentbanking zog das amerikanische System ein. Zur Erzielung hoher Rendite werden Sparmaßnahmen und "Fit for Future"- Pakete noch und nöcher aufgelegt. Dies soll vor Übernahmen schützen und die Aktionäre zufriedenstellen. Wo Käufer sind, braucht es auch willige Verkäufer. Hier sind die Anteilseigner nicht willensstark genug, haben keinen Schneid, mal Nein zu sagen und auf höhere Rendite zum Wohle des Unternehmens zu verzichten. Es gibt kein Werte- und Traditionsbewußsein. Die Manager in den Chefetagen der Industriekonzerne haben keine Zivilcourage, dem Renditewahn ein NEIN entgegen zu stellen.



4 - Der Staat spart nicht durch Privatisierungen

4.1 - Zu Beginn ein Blick auf die privatisierten Monopole

Der Titel dieses Kapitels "Der Staat spart nicht durch Privatisierungen" ist provokant und ist sicher für einige Fälle nicht richtig. Er stellt aber einen Kontrapunkt zur allseits hochgelobten Privatisierung in unserem neoliberalen Wirtschaftssystem dar.
Bei den privatisierten Unternehmen wie Post, Bahn, Energieversorgung, Wasserversorgung und Entsorgung hat sich gezeigt, dass Gewinne in manchen Bereichen eben doch nur mit drastischer Reduzierung des Service und Gebührenerhöhungen realisiert werden können. Wenn öffentliche Stellen diesen Service zu diesen Preisen angeboten hätten, wäre es zwar zu Aufständen gekommen, aber der Staat hätte gut verdient.

Bei Privatisierungen kommunalen Eigentums wurde in den vergangenen Jahren - etwa ab Mitte der 1990er und verstärkt nach 2000 - mit der öffentlichen Daseinsvorsorge gebrochen. Die Kommunen tragen danach die Verantwortung dafür, den Bürgern bestimmte Leistungen von öffentlichem Interesse flächendeckend, von hoher Qualität und für alle zugänglich anzubieten.

Mit der Privatisierung von kommunalen Monopolen entstanden aber meist auch nur private Monopole, aus denen sich große Monopolunternehmen gebildet haben, die dann die Preise diktieren können. Die Anhebung der Preise kommt insbesondere dann ins Spiel, wenn sich Monopolisten in einem gesättigten Markt bilden. Die meist börsennotierten Privatunternehmen haben ein hohes Interesse ihre Gewinne jährlich zweistellig zu steigern, was dann der Bürger zahlen muss. Wie sich in Anbetracht der angestrebten Gewinnsteigerung das Energiesparen auszahlt, ist fraglich.

So finanzieren die Strom- und Gaskunden zur Bedienung der Aktionäre der Energiekonzerne EnBW, E.On, RWE, Vattenfall und anderen zweistellige Gewinnzuwächse im Milliardenbereich. Auch Expansionen nach Osteuropa und Beteiligungen an deutschen Stadtwerken gibt es nicht umsonst. Wäre die Stromwirtschaft staatlich und kommunal organisiert geblieben könnten die Bürger mit diesen Beträgen direkt Staat und Wirtschaft fördern. Stattdessen ist in der EU ein kompliziertes Regelwerk geschaffen wurden, um einen Wettbewerb der Stromkonzerte halbwegs zu ermöglichen. Hier wurde die Privatisierung abadsurdum geführt.

Quellen u.a.:
Die Zeit, 22.6.2006: Alles muss raus!
BNN, 24.8.2006: Preistreiberei beim Strom unerträglich

4.2 - Strom- der mühsame Versuch, eine nichtlagerungsfähige Sache handelbar zu machen

4.2.1 - Die EU-Kommission bringt den Strom in die Regale

Im vorangegangen Abschnitt ist das Regelwerk angesprochen worden, das einen Wettbewerb der Stromkonzerne ermöglichen soll. Denn Strom ist keine leicht handelbare Sache. Nun sind bei der EU bekanntermaßen einige Liberalisierungsfetischisten in der EU-Kommission vereint, die sich zur Wohlfahrt der Bürger in ihrer Rolle als zahlende Verbraucher immer wieder tolle Sachen einfallen lassen. Zur Vollendung des Binnenmarktes musste schließlich auch der Strom in den Regalen stehen. Dazu wurde die Richtlinie 96/92/EG mit dem Regelwerk für den Strombereich in den EU-Ländern am 19.12.1996 verabschiedet. Es galt das here Ziel, einen einheitlichen Strommarkt zu schaffen.
Einige Stichwörter sind hierbei diskriminierungsfreier Stromhandel, vertikal integrierte Unternehmen und natürliche Monopole.
- diskriminierungsfreier Stromhandel: Abschaffung der Benachteiligung von Mitbewerbern
- vertikal integrierte Unternehmen: Bis zur Liberalisierung waren die Stromversorger auf mehreren Ebenen wie Erzeugung, Transport und Handel tätig. Aktuell ist das "unbundling" - die Trennung der Kraftwerke von den Netzen - im Gespräch.
- natürliche Monopole: Die Netze sind natürliche Monopole. An sich eine Selbstverständlichkeit, wird aber in wissenschaftlichen Arbeiten gerne speziell ausgeführt. Natürliche Monopole sind gezeichnet durch kostspielige Einrichten, die nur ein einziger Anbieter effizient betreiben kann. Man stelle sich vor, ein Kunde wolle Strom nicht vom Netz A, sondern vom Netz C und in die Landschaft würde durch mehr als 2 unabhängige Netze zerschnitten. Ähnliche Probleme gibt es beim Bahnnetz oder der Trinkwasserversorgung.

4.2.2 - Beseitigung der Netzzugangsdiskriminierung durch Regulatoren

In Deutschland wurde die EU-Richtlinie von 1996 am 29.4.1998 mit Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes in nationales Recht umgesetzt. Damit wurde von einem Tag auf den anderen die Gebietsmonopole aufgehoben. Die Stromnetzbetreiber mussten von nun an auch die Netze Dritten gegen Entgelt zur Verfügung stellen. Hier war ein Fehler im Modell. Denn als Eigentümer eines Netzes, konnte ein Strombetreiber leicht einen Mitbewerber beim Netzzugang mit hohen Preisen "diskriminieren". Und so wurde die Regelung des Strommarktes mit einer neuen EU-Richtlinie von 2003 überarbeitet. Danach mussten die Länder einen Regulator für die Preise des Netzzugangs einrichten.
Der Regulator kann nach verschiedenen Modellen die Monopole regulieren. Es gibt den klassischen Ansatz, der von einem vollkommenen Informationsfluss vom Netzbetreiber zur Regulierungsbehörde ausgeht, um den Preis festzusetzen. Bei diesem Ansatz wird der Preis zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit und Kostendeckung kostenorientiert reguliert. Ein neuer Ansatz geht von einem weniger optimalen Informationsfluss aus und setzt den Schwerpunkt auf Anreize zum effizienten Wirtschaften. In Deutschland wird mit der kostenorientierten Renditeregelung (Rate of Return) eine Mischung aus beidem favorisiert.

4.2.3 - Gesetzesgrundlage in Deutschland, die VV II+ und die Netzagentur

In Deutschland regeln mindestens 3 Gesetzeswerke den Elektrizitätsmarkt:
- Das Energiewirtschaftgesetz (EnWG)
- Das Gesetz wegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB)
- Allgemeine Versorgungsbedingungen Elektrizität (AVBEUV)

Zur Umsetzung des im EnWG geregelten Netzzugangs gibt es die Verbändevereinbarung "Kriterien zur Bestimmung von Netzzugangsentgelten für elektrische Energie und über Prinzipien der Netznutzung". Ständige Verhandlungen zwischen Verbänden, die die Interessen der Beteiligten regeln, führten Ende 2001 zur neuen Fassung VV II+. Diese dritte Fassung der Verbändevereinbarung enthält u.a. Preisfindungsprinzipien zur Ermittlung der Preise der Netznutzung, Regelungen zu Einspeisefahrpläne, virtuellen Bilanzkreisen um Einspeisung und Entnahme auszugleichen. Danach errechnen sich die Netzkosten nicht mehr aus der Menge der Stromdurchleitung (Strom wird von Anbieter A zum Kunden B über eine bestimmte Enternung geleitet) sondern aus dem Abnahmeprofil (Berechnungsgrundlage ist ein Punktmodell, das vom Ort der Stromeinspeisung und Entnahme unabhängig macht und als Basis den fiktiven Einspeisungspunkt Höchstspannungsebene verwendet).
Zur Preisfindung bedarf es der Offenlegung des Netzbetreibers bzgl der Betriebsführung. Dies bedeuted einen immensen buchhalterischen Aufwand. Die Ergebnisse der Preisermittlung veröffentlichen dann auch die zahlreichen Netzbetreiber wie Stadtwerke pflichtbewußt mit Hinweis auf die VV II+ auf ihren Homepage. Der Normalbürger kann damit wenig anfangen, aber Gesetz ist Gesetz. So weiß der Bürger nun, was er zahlen muss, wenn er mal ein paar Kilowatt per Mittelspannung von A nach B leiten lassen möchte.

Im Jahre 2006 hat die Bundesnetzagentur die Aufsicht über die deutsche Energiewirtschaft übernommen. Sie kontrolliert und genehmigt nun die Netznutzungsentgelte. Die Netzentgelte werden nun nach den Regeln der Stromnetzentgeltverordnung bestimmt. In der Presse erschien daraufhin auch immer wieder das Zerren zwischen Stromkonzernen und Netzagentur über die Netzentgelte. Die Netzentgelte tragen zum Strompreis zwar mehr bei (ca ein Drittel) als die Bezugskosten (ca. ein Viertel), liegen aber im europäischen Vergleich im Mittelfeld. Dies trägt auch der Qualität (mehr Erdkabel, Engmaschigkeit, Sicherheit) Rechnung.

In 2007 steht die Trennung von Netzen und Erzeuger an. Dagegen sprechen entgehende Gewinne für die Gemeinden, Abschaffung von Mischkalkulationen mit umweltfreundlichen Kraftwärmekopplungen und Verkomplizierung der Regeln für den leitungsgebundenen Markt. Dafür spräche der Ausbau der Verbindung zu den Nachbarländern. Aber wozu? Die Trennung bedarf eines "market designs" und viele anderer schöner Dinge aus der Ecke der Volkswirtschaftler.

4.2.3 - Resümee

Der privatwirtschaftliche Handel von Strom und seinen Transport erfordert einen immensen Kraftakt zur Regelung. Tausende von Studien, Gutachten, Papiere, Verhandlungen, Gesetzeswerke, Vertragswerke wurden erstellt, bezahlt, gedruckt und durchgeführt. Dem Autor dieses Dossiers stellt sich die Regelung zur Stromdurchleitung als ein Mittel dar, um krampfhaft an etwas festhalten zu können was eigentlich nicht möglich ist. Wären Kraftwerke und Netze in kommunaler und staatlicher Verantwortung und Überwachung geblieben, könnten die Transparenz von Kosten und faire Gebühren ebenfalls möglich sein. Der Bürger hätte mehr Zeit, wo er sich nicht mit Vertragswerken der Stromkonzerne rumschlagen muss.

Quellen:
Ökonomische Überlegungen zur Bildung von Netzentgelten in der Stromwirtschaft,
Dissertation von Ulrike Borszcz an der Carl Ossietzky Universität Oldenburg
Energie Wissen zur 2. Verbändevereinbarung
Stadtwerke Bad Sachsa: Beispiel zur Offenlegung der Netznutzungsentgelte zur Berücksichtigung der Verbändevereinbarung II+
[PDF] e.on FAQ Themenbereich Netz und Netzentgelte
Wikipedia: Bundesnetzagentur
BNN, 9.6.2006: Bundesnetzagentur greift bei Vattenfall durch
BNN, 10.8.2006: Bestes Halbzeitergebnis der EnBW
BNN, 31.8.2006: Billigere Rechung für Strom und Gas unrealistisch
Die Zeit, 25.1.2007: Pro und Contra zur Trennung von Stromerzeugung- und Transport

4.3 - Geschichten aus Tirol: Ausverkauf der Natur für grünen Stempel auf der Stromrechnung

Privat geführte Stromkonzerne müssen um ihre Kunden werben. Insbesondere als Aktiengesellschaft ist dies ein Muss, um für den Erhalt des Unternehmenswertes beständig wachsen zu können. Kunden können gewonnen werden, wenn man beispielsweise ihrem grünen Gewissen etwas zukommen lässt. Wasserkraft tut da gut. Wasser - das Element der Frische und Reinheit. Schaut man nach Tirol, wo die österreichische TIWAG mehrere Wasserkraftwerke mit Speicherseen unterhält, sieht die Welt nicht mehr so heil aus. Dabei ist schon der Name "Tiroler Wasserkraft" Etikettenschwindel, denn der Strom aus Wasserkraft steht hauptsächlich den deutschen Energiekonzernen EON, EnBW und RWE in Tausch gegen Atomstrom zu. Den Tirolern selbst wird mehrheitlich ein Mix aus Atomstrom und Strom aus Kohle, Öl und Gas geliefert.

Vor über vierzig Jahren wurde das tiroler Kaunertalkraftwerk mit dem Speicher in Gepatsch und dem Krafthaus in Prutz mit großer finanzieller Unterstützung der deutschen RWE und Bayernwerk AG, heute E.ON, gebaut. Entsprechend ihres Finanzierungsanteils steht den beiden Stromkonzernen bis heute ein Strombezugsrecht zu. Zu einem Preis unter Wert bekommt RWE 44 Prozent und E.ON 22 Prozent der produzierten Stromleistung von ca. 680 GWh. Die Tiroler Verbraucher tragen dies mit und sehen nichts von diesem Strom aus Wasserkraft der "Tiroler Wasserkraft". Um Verbrauchsspitzen abzufangen, steuern die Konzerne das österreichische Kraftwerke von Köln aus wie ein eigenes Kraftwerk. Mit Leitungsverlusten kommt dann der Strom beim deutschen Kunden an, wenn er zur Werbepause was mit vielen anderen in die Mikrowelle schiebt. Für Betrieb und Wartung muss sich die TIWAG mit der RWE abstimmen, auch bei einer längst überfälligen Entschlammung. Der Speicher in dem Hochtal ist bis heute nicht unproblematisch. Hangrutschungen können jederzeit erwartet werden.

Was vor über 40 Jahren konzipiert wurde ist heute immer noch hochaktuell. Die TIWAG plant zusammen mit deutschen Stromkonzernen, Tirol zur Stromkolonie auszubauen. Offiziell werden die Pläne für neue Speicherbecken Tirolern Bürgern mit Kampagnen wie "Strom für Tirol aus Tirol" schmackhaft gemacht. Auch das Land Tirol steht dahinter und propagiert dies mit Unterstützung von zusammengeschusterten Gutachten von Fließbandgutachtern. Gutachten, die die Notwendigkeit des Ausbaus der Wasserkraft untermauern sollen. Danach soll die Wasserkraft die Stromversorgung umweltverträglich sichern und energiewirtschaftliche Autonomie bescheren. Kritiker sehen dies anders.

Die Gemüter zwischen Stubaier Alpen, Ötztal und Wildspitze sind erregt. Unterschriften werden gesammelt, Protestschriften werden verfasst. Denn die TIWAG plant Speicherbecken im Kühtai, Rofental und Sulztal. Das Ötztal mit seinen Seitentälern gilt wegen der großen Gletscherabflüsse und Fallhöhen als idealer Standort für Speicherbecken. Doch was hinter hohen Staumauern aufgestaut werden soll, ist meist größer als es die Bächlein vermögen können. Alleine im Rofental könnte durch eine Vernetzung der Zuflüsse aus benachbarten Tälern die Fassungsvermögen im 120 Millionen Kubikmeter-Bereich gespeist werden. Das Speicherbecken im Kühtai (Sellrain-Silz) wird von vornherein für ein Pumpspeicherkraftwerk geplant. Im Sulztal ist das Einzugsgebiet zu gering, der Zufluss nicht ergiebig genug.
Im Rofental würde hinter dem Staudamm ein Kulturraum versinken. Einige Flächen sind als Natura-2000 Gebiet geschützt. Seit Jahrhunderten treiben Südtiroler Bauern ihre Schafe aus dem Schnalstal über das Niederjoch zu ihren Weideflächen im Rofental und Niedertal. Zusammen mit den Ventern kämpfen sie für den Erhalt des Kulturraums. Ein Stausee, Staudamm, Baustellen und ausgebaute Straßen würden die Bestrebungen nach einem sanften Tourismus zunichte machen.
Dies alles würde für einen zweifelhaften Ökoanstrich geopfert werden. Denn neben den Stauseen im Sulztal und Kühtai würde auch der Stausee im Rofental als Speicher von Nachtstrom dienen. Eine Stufe eines Pumpspeicherkraftwerks. Der TIWAG würde dabei ihren Einstieg ins Spekulationsgeschäft an der Strombörse in Leipzig helfen. Unter Missachtung von Leitungsverlusten würde dann des Nachts günstiger und überschüssiger Atomstrom von weit her in den Tirolern Hochtälern auf Halde gepumpt werden, um ihn als teuren Spitzenstrom wieder zu verkaufen. Zudem gibt es die Option auf neue Veträge mit deutschen Stromkonzernen, um die Finanzierung teilweise zu decken. Auch hier würde Grundlaststrom ineffizient zwischengelagert werden. Denn bei der Kette Strom aus fossilen Energieträgern - Leitung nach Österreich - hochpumpen - ablassen zur Turbine geht einiges an Energie verloren. CO2 Emission und produzierter Atommüll steigen mit dieser Form der Wasserkraft um das 1,3 -fache.

Wenn die Stauseen also lediglich als Pumpspeicher überflüssigen Nachtstroms dienen und zu Spitzenlasten von deutschen Stromkonzernen angezapft werden, sind sie weder umweltverträglich noch sichern sie die energiewirtschaftliche Autonomie. Sie kommen allein dem Geschäft der TIWAG zu gute.

Vielleicht hat die TIWAG aber auch gar nicht mehr all so sehr lange etwas von ihren Plänen. Denn einige Anlagen wurden an US-Trusts verkauft und teuer zurückgeleast. Nach den Verträgen würde der Ausbau bestehender Anlagen wie im Kühtai automatisch Teil bestehender Leasingveträge.

Quellen:
BNN, 19.8.2006: Bergdorf verteidigt die Natur gegen die Wasser-Gewaltigen
www.dietiwag.org - Die andere Seite der Tiroler Wasserkraft
Wikipedia - Strombörse

4.4 - Rolle rückwärts bei Privatisierung des Wassermarktes?

Noch ist der deutsche Wassermarkt nicht gänzlich liberalisiert. § 103 im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen stellt die Wasserversorgung vom Kartellrecht frei und schützt damit die Gebietsmonopole. Dies fördert Trinkwasserqualität über EU-Norm und Ressourcenschutz. In vielen kleinen Wasserschutzgebieten wird Wasser für die umgebende Region gewonnen. Die Wasserversorger achten in diesen Gebieten auf Umwelt- und Naturschutz und unterstützen z.b. Landwirtschaft nach Naturland-Richtlinien (kein Pestizideintrag) in diesen Gebieten finanziell. Dem steht das 2003 erschienene Grünbuch der EU-Kommission zur Daseinsversorger entgegen. Wasser soll Handelsware werden.

Der Verkauf der Leitungsnetze an US-Trusts und zurückleasen derselben ließ einige Kommunen auf den Boden der Tatsachen fallen.
Wie kommen Unternehmen der Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung zu ihren Gewinnen? In Berlin sind RWE und Veolia an den Berliner Wasserbetrieben beteiligt. Der Kubikmeter Trinkwasser kostet dort seit 1/2006 2,30 Euro. Weil der deutsch-französische Konzern Eurawasser zu gierig war, kaufte Potsdam im Jahre 2000 die 49 Prozent an der Wasserwirtschaft zurück, die die Stadt zuvor 1997 an den Konzern verkauft hatte. In den drei Jahren stiegen die Preise jedoch um fast 80 Prozent
Wegen der Unterversorgung durch den Wasserkonzern SUEZ mit Infrastruktur in armen Distrikten und erhöhten Gebühren für einen Leitungsanschluss kommt es in Bolivien nach den Wasserkriegen im Jahr 2000 erneut zu Protesten im Jahr 2005. Fälle, die auf Europa übertragbar sind?
Ist Wasser aus hygienischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten überhaupt über größere Entfernungen handelbar?
Werden ökologische Aspekte auch bei Grundwasserentnahmen durch private Versorger beachtet?
Wie werden Grenzwerte für Trinkwasser und geklärtes Abwasser durch Private ausgelegt? Kommunale Wasserwerke schaffen es, Wasser mit Badewasserqualität in Isar und Rhein zu leiten. In Rhône und Seine, an deren Ufern Unternehmen wie Vivendi und Suez im Wassermarkt tätig sind, empfiehlt sich das Baden nicht.
Braucht man für den Wassermarkt überhaupt einen Wettbewerb, der bei einer netzgebundenen Industrie nie ein richtiger sein kann?
Wie verträgt sich Rendite und Wachstum mit Verbrauchsrückgang?
Bei den deutschen Wasserversorgern gibt es einen großen Investitionsstau. Doch rechnen sich für ein privates Unternehmen Investitionen, die erst nach vielen Jahren durch Gebühren gedeckt sind? Nebenbei sind die Leitungsnetze im europäischen Vergleich gar nicht so schlecht. In Deutschland gibt es mit 8 Prozent die geringste Leckrate Europas. Die deutschen Verbraucher vertrauen auf "ihre" lokalen Wasserwerke, die ein Wasser mit bestimmten Geschmack, Härte und Mineralien liefern.

Quellen:
Deutschlandfunk - Der Wassermarkt und die Grenzen der Privatisierung
Pressemitteilung der BayernSPD: Kommunale Wasserversorgung - Es geht um Qualität und Sicherheit des Lebensmittels Nummer Eins
Bayerischer Gemeindetag - Soziale Marktwirtschaft - mit oder ohne öffentliche Unternehmen?
[PDF] E&M - Wassermarkt | Wasserversorger in der Warteschleife
Neue Wasser-Revolten in Bolivien, März 2005
Die Zeit, 22.6.2006: Alles muss raus!
Naturschutz heute 3/2004 (NABU Magazin)

4.5 - Vorurteile gegenüber öffentlichen Dienst

Die Privaten sind durch Vorurteile gegenüber dem öffentlichen Dienst begünstigt. Ihm hängt der Ruf an, ineffizient zu sein, was sich in den Gebühren niederschlagen würde. Tatsächlich wurden in den letzten Jahren im öffentlichen Dienst Abläufe verbessert, Dienststellen auf das knappste rationalisiert, Mitarbeiter zu engagiertem Arbeiten motiviert und die Gehaltssteigerungen beständig niedrig gehalten. Bei einer Privatisierung wäre ein möglicher Effizienzgewinn ein einmaliger Vorgang. Die jährlich zu erwirtschaftende Rendite muss später anderweitig beschafft werden.

4.6 - Überflüssige Beratung und falsche Analyse durch McKinsey

McKinsey tingelt ja bekanntermaßen als Unternehmensberatung durch die deutschen Lande. Angestellte wissen - wenn McKinsey ins Haus kommt, wird es ungemütlich. Ministerien, Kommunen und Unternehmen bedienen sich gerne der Dienste des renommierten Beraters, um ihren Einsparungswünschen einen offiziellen Stempel zu verpassen. Geheiligt durch die unabhängige Meinung lassen sich dann die Vorstellungen leichter umsetzen. Doch sind diese immer sinnvoll und wäre man nicht günstiger selbst auf die Ergebnisse der Gutachten gekommen?

Aus Baden-Württemberg ist der Fall UMEG bekannt. Die Landesanstalt für Umweltschutz (LfU) führte im Jahre 1990 eine durchgreifende Neustrukturierung auf der Grundlage eines Organisationsgutachtens der Unternehmensberatung McKinsey durch. Nun ist McKinsey kein Unbekannter, wenn es darum geht produzierende Teile auszulagern (siehe Grohe). Nach dem neuen Organisationsplan sollten durch die LfU nur noch strategische und konzeptionelle Tätigkeiten und die Beratung der Ministerien und der Behörden des Landes in allen wissenschaftlichen und technischen Fragen des Umweltschutzes wahrgenommen werden. Routinemäßige Meß- und Untersuchungstätigkeiten wurden in großem Umfang an Dritte abgegeben. Bis dahin gehörte es auch zu den Aufgaben der LfU ein umfangreiches Meßnetz für Luft, Wasser und Radioaltivität zu unterhalten. Die Proben wurden durch Mitarbeiter der LfU in chemischen Laboren analysiert. Von dieser Umweltüberwachung wurde der Betrieb des Luftmeßnetz an die private Gesellschaft für Umweltmessungen und Umwelterhebungen (UMEG) übergeben. Diese Gesellschaft wurde eigens dazu neugegründet, 60 Mitarbeiter wechselten zur UMEG.

Um die Berichte verfassen zu können, die die LfU dem Land Band-Württemberg vorlegen musste, bedurfte es natürlich auch weiterhin harter Fakten. Da die Luftmeßdaten nun nicht mehr im eigenen Haus erhoben wurden, mussten sie von der UMEG teuer eingekauft werden. Die Ende von der Geschichte ist, das LfU und UMEG am 1.1.2006 zur Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) fusionierten.

Und auch dazwischen gab es noch mal eine Umstrukurierung im Jahre 1998. Diesmal ganz ohne McKinsey. Mit dem Ziel, Einsparmöglichkeiten aufzudecken, wurde intern der Ist-Zustand erfasst und ausgewertet. Im Ergebnis wurden einige Referate und Sachgebiete zusammengefasst.

Allgemein rügte der Rechnungshof des Landes Baden-Württemberg im Juni 2006 die Gutachteritis im Land. Zuviele Gutachten seien nur teilweise verwertbar oder gar völlig unbrauchbar. Der Rest verschwinde zu oft ungenutzt in der Schublade. Viele Fragen könnten und sollten gemäß der fachlichen Kompetenz auch von den Dienststellen selbst beantwortet werden. In vier Jahren kamen für 336 Gutachten 22 Millionen Euro zusammen.

Quellen:
Die Landesanstalt für Umweltschutz in den Jahren 1996/1997
Umstrukturierung der Naturschutzreferate in der LfU
Pressemitteilung der LUBW vom 2.1.2006: Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg nimmt ihre Arbeit auf
BNN, Juni 2006: Regierung will die "Gutachteritis stoppen"

4.7 - Weitere angeschnittene Punkte aus der Welt von Public Private Partnership, Fließbandgutachtern und Privatisierung/ Reverstaatlichung

Es ist Rosenmontag im Jahre 2007. Selbst an einem so fröhlichen Tag begibt sich der Autor in dieses Dickicht aus Halbwahrheiten, überkommenen Dogmen und harten Fakten. Da das Dossier mit Veröffentlichung im Jahre 2007 für 2005/2006 noch halbwegs aktuell sein soll, werden weitere Fakten aus dem Feld der Privatisierung nur angeschnitten. Dies soll helfen, den Gedanken einen Stoß zu versetzen.

Gewinnorientierung versus nachhaltiger Forstwirtschaft und verantwortungsvoller Entwässerung

Öffentliche Wasserversorgung durch EU-Binnenmarkt bedroht. Fakten gegen die "Binnenmarktstrategie für die Wasserversorgung" der europäischen Kommision

Kommunalaufsicht drängt zur Privatisierung und erpresst Gemeinden für die Absegnung des Haushalts

Private Ausführung hoheitlicher Aufgaben (z.b. Abfallentsorgung) muss kontrolliert werden. Kontrolle nicht immer vollständig. Kostet auch was.

Wenn Privatisierung zur Konsolidierung des Haushalts verplant wird, was kommt danach?

Gemeinden fühlen sich der Preispolitik der Stromkonzerne ausgeliefert.

Leistung der privaten Müllentsorgung nicht immer zufriedenstellend. Müllentsorgung in kommunaler Hand für Gemeinden attraktives Einkommen.

Sind Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus mit einer Sozialcharta bei Verkauf langfristig vor Spekulationen gesichert? (Zu durchgeführten und abgewehrten Wohnungsverkäufen in Dresden und Freiburg)

4.8 - Privatisierungen - es geht auch ohne

Die EU - Kommission reduziert die Bürger auf nach günstigen Preisen strebende Verbraucher. Der Bürger ist aber mehr: Verbraucher, die auf eine qualitätsvolle nachhaltige öffentliche Daseinsvorsorge vertrauen. Bürger deren Arbeitsstelle nicht selten von den Entscheidungen der EU-Kommission betroffen ist (Umstrukturierungen). Das Handeln der EU-Kommission ist daher durch die Bürger nicht immer legitimiert.
Öfter dem gesunden Menschenverstand freien Lauf lassen, als nach Renditen zu schielen und Unternehmensberatern hörig zu sein.

5 - Schlusswort

Die Zeit rast dahin im Sauseschritt und wir sausen mit. Täglich stolpert der Autor über neue Meldungen; die Welt ändert sich in einem Tempo, dass einem schwindlig wird. Deshalb ist dieses Dossier auf die Jahre 2005/2006 begrenzt, um einen Schlußstrich in der Erfassung von Fakten zu ziehen. Allein die letzte Recherche und Aufbereitung von Quellen und Abrundung des Dossiers beanspruchte die ersten beiden Monate des Jahres 2007. Dies tut der Aktualität für die nächste Zeit jedoch keinen Abbruch. Und wenn einmal die Lage von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat in einem Dossier wie diesem schriftlich festgehalten ist, kann dies für die Nachwelt nur von Vorteil sein.

Auf unser Land. Matthias Böhringer.