Matthias Böhringer
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Badische Neueste Nachrichten
- Redaktion Wirtschaft -
Karlsruhe, den 1.11.2006
Wirtschaftsförderung richtig machen
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit diesem Rundbrief möchte ich
auf Entwicklungen aufmerksam machen, die von Nachteil für unsere Gesellschaft
sind. Vor dem Hintergrund des bald eröffnenden „Ufo“ vor den Toren Baden-Badens
(die BNN berichteten) spreche ich mich absolut gegen diesen unfruchtbaren
Wettkampf der Kommunen untereinander, die weitere flächenhafte Ausbreitung der
Discounter zur Befriedigung der Bequemlichkeit der Bürger und gegen weitere
08/15 Einkaufszentren von der Stange zwecks Erringung scheinbaren Glanzes aus.
Discounter, andere Billigheimer und solche, die es vorgeben zu sein:
„Geiz ist geil“ – eine Erfindung
der MetroGroup hat unserem Land erheblich geschadet und schadet weiterhin.
Nicht jeder Stadtteil braucht „seinen“ LIDL und „seinen“ Aldi. Da gibt es
phantasievollere Einkaufsmöglichkeiten. Ebenso schädlich ist der Glaube, die
großen Filialisten wie IKEA, die Unternehmen der Douglas Holding AG (Thalia,
...) und der MetroGroup (MediaMarkt, Real,...) würden die Einkaufslandschaft
bereichern und die Wirtschaft fördern.
Unternehmen wie diese forciert expandierenden Firmen führen zu einer
Verarmung unseres Landes in mehrfacher Hinsicht:
-
finanziell:
der Geldkreislauf erweitert sich weg von der Region hin zu den großen
Einzelhändlern und ihren Großzulieferern. Einkaufspreise werden durch
Ausspielen der Marktmacht gedrückt, das Lohnniveau sinkt. Geringere Steuern und
geringere Abgaben zu Kranken- und Rentenkassen sind die Folge
-
geistig:
Die Ansprüche werden herabgesetzt, man sieht und kennt nicht die Vielfalt.
Aldi, Lidl, IKEA & Co werden als alles erfüllend und gar als Ersatz für ein
blühendes Geschäftsleben gesehen. Die Motivation zur Erkundung normaler
Fachgeschäfte sinkt mit der Bedienung durch eine scheinbare Rundumversorgung.
Der Organisation des Alltags wird weniger mitdenken abverlangt.
Einsparpotentiale werden nur in niedrigen Preisen zu Lasten unseres Landes
gesehen.
-
Kulturell:
In den Städten ist ein Verlust an Tradition bemerkbar. Einmal wird das Handwerk
nicht gefördert, dann löst sich im Lebensmittelbereich die Beziehung zwischen
Stadt und Land (der Region) und die am Gemeindeleben beteiligten Inhaber der
Geschäfte gibt es nicht mehr. Landwirte können ihre Produkte nicht mehr am
Schlachthof und Milchzentrale abliefern, Discountbäcker backen Fertigteiglinge
auf und die Werkstätten verschwinden aus den Hinterhöfen der Wohnblöcke. Auch
auf dem Land schwinden die Kleinbetriebe. Vereinzelt noch existierene Drogerien
und Elektrogeschäfte mit einem individuellen Angebot erscheinen wie aus einer
anderen Zeit. Die Augen werden mit architektonisch miserablen Flachbauten mit
Alibi-Satteldächern und großen Parkplätzen gepeinigt. Die über Jahrzehnte
ausgeübte Siedlungspolitik bewerte ich katastrophal. Noch Ende des 19. und
Anfang des 20. Jahrhunderts wurden schöne Stadtteile mit gemischter Nutzung
geschaffen. Die heutigen Läden dort fügen sich in die Nachbarschaft mit den
kunstvollen Hausfassaden ein. Bei den Neubaugebieten der Neuzeit mit den oft verworrenen
Straßensystemen und wenig kunstvollen Häusern wurde das Einkaufen ausgelagert
und konzentriert. Meist bekam irgendein größerer Investor den Zuschlag für die
Errichtung eines großen Marktes, die Förderung kleinerer heimischer Betriebe
blieb aus. Den Geschäften in den alten gewachsenen Stadtteilen wird mit den
hässlichen Gewerbegebieten, den sogenannten Fachmarktzentren, der Garaus
gemacht.
Einkaufszentren und die Mär vom neuen Einkaufserlebnis
Um es
kurz zu machen: Die drei in den letzten Jahren geschaffenen Einkaufszentren
Mendelssohnplatz, Postgalerie, Ettlinger Tor sprechen mich nicht an. Ich bin
keiner dieser „Könige Kunden“, denen alles steril, möglichst bis in den späten
Abend und wohl auch noch an dem der Erholung und inneren Einkehr vorbehaltenen
Sonntag auf einem goldenen Tablett serviert werden muss. Was die Investoren
gebaut haben, ist nicht das, was den Karlsruhern versprochen wurde.
Beim Mendelssohnplatz sollte eine
Markthalle entstehen. Eine richtige Markthalle können Sie im
südfranzösischen Antibes sehen. Nun befindet sich dort mit Scheck-in ein großer
Supermarkt. Im Vergleich zu den Discountern sicher einige Nummern besser, aber
für den unkomplizierten Einkauf recht groß. Darüber ein Discounter für
Bekleidung. Den Charme einer Markthalle mit verschiedenen Händlern, die ihre
Spezialitäten anbieten, kann man dort nicht finden.
Von
den drei neuen Einkaufszentren besitzt die Postgalerie
herausragende Individualität und könnte
ein Glanzpunkt in der Einkaufslandschaft darstellen. Könnte. Der Blick auf
die eigentlich schöne neobarocke Fassade der ehemaligen Hauptpost wird durch
penetrante billige LIDL-, und SATURN – Fahnen verstellt. Wurde schon in den
1960ern der schmuckreichen Ausgestaltung bei Modernisierungsmaßnahmen wenig
Achtung geschenkt (Karlsruhe – Architektur im Blick, Röser-Verlag), folgte mit
der Entkernung der letzte Schlag. Nun findet man dort – abgesehen von ein paar
wenigen Ausnahmen - nicht etwa feine, kultige oder nette Geschäfte, sondern ein
Tschibo - Lager, einen grauen
unverputzten Saturn, einen grellen LIDL und einige Filialisten. Für die wenigen
Ausnahmen bräuchte man wahrlich nicht diesen Aufwand.
Im
September 2005 wurde mit dem ECE-Center
Ettlinger Tor das größte Einkaufszentrum Süddeutschlands mit rund 130
Fachgeschäften eröffnet. Den Lobpreisungen kann ich mich auch nach einigen
Besuchen nicht anschließen. Ich sehe hier keine geschmackvolle Aufwertung für
die Stadt Karlsruhe. Was man vorfindet
ist dickaufgetragener Pomp und inszeniertes anbiederndes Erlebnis. Mit der
Eingliederung der Fassade des alten Kammertheaters in den Bau haben die
Architekten nicht mehr als ihre Pflicht getan. Der Bau stellt sich
insgesamt jedoch als Klotz ohne Schick dar. Besonders die Ecken ragen zu
wuchtig in den Raum, so dass die Flucht durch die Erbprinzenstrasse zum
Rondellplatz nicht mehr stimmt. Der Bau wirkt gegenüber der feinen Architektur
des Staatlichen Museums für Naturkunde, ein Neorenaissancebau und dem
ehemaligen Markgräflich – Hochbergschen Palais am Rondellplatz und der eher
schmalen Erbprinzenstraße wie ein erdrückender Fremdkörper in der
Nachbarschaft. Die Fassade ist, wie heute üblich, langweilig, unstrukturiert
und farblos hell. Dagegen strahlt die lichte strukturierte Glasfassade des
IHK-Neubaus mit den von der Straße zugänglichen Geschäften Eleganz aus. Auf
dieser innerstädtischen Fläche hätte auch ein kleines Viertel mit Wegen
zwischen ortsansässigen Geschäften, Ateliers und Werkstätten entstehen können.
Stattdessen ist ein Zirkus entlang einer gerade modernen Mall eingezogen, der
in diesem ECE-Center wie auch im ECE-Center Berlin oder in all den anderen
flächig verstreuten ECE-Centern der Republik
vorzufinden ist. Die wenigen Karlsruher Geschäftsleute die ihre Läden in
der Stadt aufgegeben haben und dort eingezogen sind, führen in einem der
Guckkästen ein im Vergleich zur vorherigen Auswahl kastriertes Angebot.
Ansonsten gibt es die Standardfilialisten,
die in der ECE-eigenen Werbezeitung den Schein der Exklusivität vorgeben.
Tatsächlich sind es austauschbare Namen, hinter denen irgendwelche großen
Gesellschaften stehen. Geschäftsmodelle, die im Zweifelsfall nicht den
Menschen, sondern die Gewinnmaximierung im Blick haben.
Großstadt definiere ich anders. Da
sehe ich individuelle große und kleine ortsansässige Geschäfte mit tollen
Auslagen in herrschaftlichen Häusern mit reicher Bauzier. In anderen Städten
suche ich keine Einkaufszentren mit Saturn- und Thalia- Filialen oder
Modegeschäften der Douglas Holding AG auf. Ich denke, dass die Entscheider in
der Stadt weniger den Gutachten von Wirtschaftsberatern und der Lobby der
Centermanager hörig sein sollten, sondern mehr auf das schauen und fördern
sollten, was sie schon haben. Nämlich die Karlsruher Geschäftsleute, die sich
mit viel Eigeninitiave einbringen und statt mit LIDL-Fahnen auch mal zur
blumigen Stadtverschönerung beitragen, auch wenn die Stadt dafür Gebühren
verlangt. Die Entwicklung von Gebäuden
an Schlüsselstandorten des städtischen Raumes darf nicht Investoren überlassen
werden, die in erster Linie der Gewinnmaximierung verpflichtet sind.
Ideenreiche Neubauten mit schöner Bauzier könnten dagegen mit einer Stiftung
gefördert werden und die kommunale Hand sollte zur Mitbestimmung von Bau und
Betrieb Anteile daran haben. Damit wäre der Wirtschaft gedient und echte
Talente wie es Hermann Billing war würden gefördert.
Wettkampf der Kommunen
In den letzten Jahren wurde trotz sinkender Nettoeinkommen immer mehr
Verkaufsfläche geschaffen und die Öffnungszeiten verlängert. Hierzu ein Zitat aus der Zeit
„...Der massive Personalabbau der Lebensmittelbranche ging in den vergangenen
Jahren vollständig zu Lasten der Vollzeitstellen. Die Teilzeitjobs nehmen zu.
Für stabile Beschäftigungsverhältnisse, existenzsicherndes Einkommen und
planbare Arbeitszeiten ist kein Raum in einer Arbeitswelt mit immer
späterem Ladenschluss bei gleichzeitig früher Ladenöffnung....In den
vergangenen 4 Jahren (Stand Ende 2005) wurden prozentual 6% mehr Verkaufsfläche
geschaffen, bei gleichzeitigem Umsatzrückgang von 3%. 12% Vollzeitjobs wurden
gestrichen, bei gleichzeitiger Schaffung von Teilzeitjobs von nur 4%....“ Wenn
die Wirtschaft durch die Anziehung neuer Kunden wachsen soll, ist das eine
schlichte Milchmädchenrechnung. Was nützt es, wenn die Kunden an ihrem Wohnort
fehlen? Das dick aufgetragene entstellt die Städte. Wenn hier jemand gewinnt, dann ist es nicht diese oder jene Gemeinde,
nicht die Bürger und schon gar nicht der Staat als ganzes. Es sind die großen
Unternehmen wie die ECE-Gesellschaft, Herr Schwarz von LIDL, die Gebrüder
Albrecht von Aldi, IKEA, die MetroGroup, die Douglas Holding AG, die die
Gewinne einstreichen. Die Aktiengesellschaften können einmal mehr blumige
Geschäftsberichte schreiben, aber das Wirtschaftswachstum macht sich eben nicht
nur an solchen Berichten fest, sondern hängt auch vom Schicksal der vielen
tausend kleinen Konkurrenten und den von Knebelverträgen gebeutelten
produzierenden Betrieben ab.
Bei ECE lohnt ein Blick auf die Standortkarte http://www.ece.de/de/shopping/center/standortkarte.jsp Von Blume 2000 über Nanu Nana, Douglas und
Mango findet man deutschlandweit all jene Filialisten, die in unserem Ettlinger
Tor das besondere vorgeben. Dabei ist es nur ein vielkopierter Abklatsch.
Bundesweit haben Städte zehntausende Quadratmeter Verkaufsfläche geschaffen,
nur um auch so einen Magneten zu haben. In diesen Hallen hat kaufmännische
Eigeninitiative nur im geringen Ausmaß eine Chance.
Für Aldi und Lidl stellen kleinste Gemeinden in schönster Landschaft
einen Bauplatz zur Verfügung, um als Wohnort für die sparenden Häuslebauer attraktiv zu
sein. Unmengen von Flächen werden für IKEA, oder das Roppenheimer Markendorf
verbaut. Langsam wachsende Strukturen
werden mit großen Einkaufszentren wie das Ufo in Baden-Baden oder das neue
Fachmarktzentrum in Maximiliansau ausgebremst. Wie schon das
Regierungspräsidium kürzlich richtigerweise feststellte, ist das Warenangebot
eines IKEA die Domäne der Geschäfte in den Innenstädten. Ich erweitere dies
auch auf Möbel. Meinetwegen braucht nach diesen Maßstäben überhaupt kein IKEA
mehr in Baden-Württemberg zu eröffnen. Ebenso verhält es sich mit den irrwitzig
wachsenden Baumärkten. Jede Gemeinde stellt im Wettbewerb immer größere Flächen
für solche und andere Märkte zur
Verfügung. Dabei sinkt in vielen Branchen der Gesamtumsatz, während die
Verkaufsfläche stetig steigt. Vieles
bekommt man gar nicht mehr einfach so mal schnell im klassischen
inhabergeführten Geschäft. Für sie lohnt es sich nicht mehr. Hier habe ich
schon Erfahrungen in Spielzeugläden und Elektrofachgeschäften gemacht.
Inzwischen muss man unter Umständen auf Aktionen der Discounter warten oder
umständlich zum Fachmarkt am Stadtrand fahren.
Ist es nicht unehrenhaft, ein für einen Stadtteil (Cité)
überdeminsioniertes Ufo zu bauen, nur um
anderen Städten Käufer abzuluchsen? Dabei zieht dort doch nur wieder
diese Bagage aus MediaMarkt, H&M und Co ein. Ich als Kunde stehe da nur unter
Kaufzwang, wenn ich weit angereist die
möglicherweise nur kurzfristig angebotenen Waren sehe. Wieso fördert man nicht
dagegen die Entstehung einer bunten Geschäftswelt inklusive inhabergeführten
Elektrofachgeschäften? Es gibt noch Idealisten wie Elektro-Manes in der
Weststadt, wo der Nachwuchs noch die Gesellenprüfung ablegt und mit aufwändigen
Schulungen bei den Herstellern Kompetenz gegenüber den großen Märkten erlangt. Statt den schnellen Sofortlösungen mit den
Einkaufszentren die auf Kosten der anderen Gemeinden die Statistik schönen,
sollte man mehr im kleinen fördern. Z.b. mit günstigen Kleinkrediten, wie
dies auch in Entwicklungsländern gemacht wird. Solche Programme haben eine
Katalysatorwirkung. Man könnte auch enger mit der IHK zusammenarbeiten und
Konzepte für einen nachhaltigen Handel erarbeiten. Konzepte die für
Existenzgründungen motivieren und Perspektiven bieten.
Meine Initiative
Da ich mich angesichts des
wahnwitzigen Wachstums an Verkaufsflächen, der verblödenden Werbung von
MediaMarkt und Saturn, discountergläubigen Mitmenschen in einer verrückten Welt
auf dem Abstiegsast befinde und eigene Ideen habe, wie man es besser machen
kann, habe ich mich an dem Diplom-Projekt der wir.ag (http://www.wir.ag/) an der Hochschule für
Gestaltung Karlsruhe beteiligt. Als Weltverbesserer Nr 22 habe ich mein
Anliegen „Geiz ist ungeil und ein gänzlich freier Markt schadet dem Staat und
dem ihn begründenden Bürgern. Das Wachstum einzelner Unternehmen ist kein
Garant für Wirtschaftswachstum.“ vorgebracht. Die beiligende Zeitung ist das
Resultat dieser graphischen Arbeit, die ich nun verteilen werde. Viele andere
Weltverbesserer hatten ebenfalls bemerkenswerte Anliegen aus verschiedenen
Bereichen. Das Projekt wird aufmerksam vom SWR, WDR, Deutschlandfunk und
lokalen Medien beobachtet.
Mit freundlichen Grüßen,
Matthias Böhringer
(ein Verbraucher, 33 Jahre)