Matthias Böhringer

                                                                          Körnerstr. 14

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Verteiler:

 

Regierungspräsidium Karlsruhe

Referat 21 - Raumordnung, Baurecht, Denkmalschutz

- Leitenden Regierungsdirektor Herrn Karl Eugen Ganninger -

 

Stadt Karlsruhe:

Erster Bürgermeister Siegfried König

Rathaus Dezernat 4

CDU-Gemeinderatsfraktion

SPD-Gemeinderatsfraktion

Bündnis90 / Die Grünen –Gemeinderatsfraktion

FDP / Aufbruch für Karlsruhe –Gemeinderatsfraktion

 

Badische Neueste Nachrichten

- Redaktion Wirtschaft -

 

                                                                                                          Karlsruhe, den 1.11.2006

 

Wirtschaftsförderung richtig machen

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

mit diesem Rundbrief möchte ich auf Entwicklungen aufmerksam machen, die von Nachteil für unsere Gesellschaft sind. Vor dem Hintergrund des bald eröffnenden „Ufo“ vor den Toren Baden-Badens (die BNN berichteten) spreche ich mich absolut gegen diesen unfruchtbaren Wettkampf der Kommunen untereinander, die weitere flächenhafte Ausbreitung der Discounter zur Befriedigung der Bequemlichkeit der Bürger und gegen weitere 08/15 Einkaufszentren von der Stange zwecks Erringung scheinbaren Glanzes aus.

 

Discounter, andere Billigheimer und solche, die es vorgeben zu sein:

„Geiz ist geil“ – eine Erfindung der MetroGroup hat unserem Land erheblich geschadet und schadet weiterhin. Nicht jeder Stadtteil braucht „seinen“ LIDL und „seinen“ Aldi. Da gibt es phantasievollere Einkaufsmöglichkeiten. Ebenso schädlich ist der Glaube, die großen Filialisten wie IKEA, die Unternehmen der Douglas Holding AG (Thalia, ...) und der MetroGroup (MediaMarkt, Real,...) würden die Einkaufslandschaft bereichern und die Wirtschaft fördern.

Unternehmen wie diese forciert expandierenden Firmen führen zu einer Verarmung unseres Landes in mehrfacher Hinsicht:

-         finanziell: der Geldkreislauf erweitert sich weg von der Region hin zu den großen Einzelhändlern und ihren Großzulieferern. Einkaufspreise werden durch Ausspielen der Marktmacht gedrückt, das Lohnniveau sinkt. Geringere Steuern und geringere Abgaben zu Kranken- und Rentenkassen sind die Folge

-         geistig: Die Ansprüche werden herabgesetzt, man sieht und kennt nicht die Vielfalt. Aldi, Lidl, IKEA & Co werden als alles erfüllend und gar als Ersatz für ein blühendes Geschäftsleben gesehen. Die Motivation zur Erkundung normaler Fachgeschäfte sinkt mit der Bedienung durch eine scheinbare Rundumversorgung. Der Organisation des Alltags wird weniger mitdenken abverlangt. Einsparpotentiale werden nur in niedrigen Preisen zu Lasten unseres Landes gesehen.

-         Kulturell: In den Städten ist ein Verlust an Tradition bemerkbar. Einmal wird das Handwerk nicht gefördert, dann löst sich im Lebensmittelbereich die Beziehung zwischen Stadt und Land (der Region) und die am Gemeindeleben beteiligten Inhaber der Geschäfte gibt es nicht mehr. Landwirte können ihre Produkte nicht mehr am Schlachthof und Milchzentrale abliefern, Discountbäcker backen Fertigteiglinge auf und die Werkstätten verschwinden aus den Hinterhöfen der Wohnblöcke. Auch auf dem Land schwinden die Kleinbetriebe. Vereinzelt noch existierene Drogerien und Elektrogeschäfte mit einem individuellen Angebot erscheinen wie aus einer anderen Zeit. Die Augen werden mit architektonisch miserablen Flachbauten mit Alibi-Satteldächern und großen Parkplätzen gepeinigt. Die über Jahrzehnte ausgeübte Siedlungspolitik bewerte ich katastrophal. Noch Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurden schöne Stadtteile mit gemischter Nutzung geschaffen. Die heutigen Läden dort fügen sich in die Nachbarschaft mit den kunstvollen Hausfassaden ein. Bei den Neubaugebieten der  Neuzeit mit den oft verworrenen Straßensystemen und wenig kunstvollen Häusern wurde das Einkaufen ausgelagert und konzentriert. Meist bekam irgendein größerer Investor den Zuschlag für die Errichtung eines großen Marktes, die Förderung kleinerer heimischer Betriebe blieb aus. Den Geschäften in den alten gewachsenen Stadtteilen wird mit den hässlichen Gewerbegebieten, den sogenannten Fachmarktzentren, der Garaus gemacht.

 

Einkaufszentren und die Mär vom neuen Einkaufserlebnis

Um es kurz zu machen: Die drei in den letzten Jahren geschaffenen Einkaufszentren Mendelssohnplatz, Postgalerie, Ettlinger Tor sprechen mich nicht an. Ich bin keiner dieser „Könige Kunden“, denen alles steril, möglichst bis in den späten Abend und wohl auch noch an dem der Erholung und inneren Einkehr vorbehaltenen Sonntag auf einem goldenen Tablett serviert werden muss. Was die Investoren gebaut haben, ist nicht das, was den Karlsruhern versprochen wurde.

 

Beim Mendelssohnplatz sollte eine Markthalle entstehen. Eine richtige Markthalle können Sie im südfranzösischen Antibes sehen. Nun befindet sich dort mit Scheck-in ein großer Supermarkt. Im Vergleich zu den Discountern sicher einige Nummern besser, aber für den unkomplizierten Einkauf recht groß. Darüber ein Discounter für Bekleidung. Den Charme einer Markthalle mit verschiedenen Händlern, die ihre Spezialitäten anbieten, kann man dort nicht finden.

 

Von den drei neuen Einkaufszentren besitzt die Postgalerie herausragende Individualität und könnte ein Glanzpunkt in der Einkaufslandschaft darstellen. Könnte. Der Blick auf die eigentlich schöne neobarocke Fassade der ehemaligen Hauptpost wird durch penetrante billige LIDL-, und SATURN – Fahnen verstellt. Wurde schon in den 1960ern der schmuckreichen Ausgestaltung bei Modernisierungsmaßnahmen wenig Achtung geschenkt (Karlsruhe – Architektur im Blick, Röser-Verlag), folgte mit der Entkernung der letzte Schlag. Nun findet man dort – abgesehen von ein paar wenigen Ausnahmen - nicht etwa feine, kultige oder nette Geschäfte, sondern ein Tschibo -  Lager, einen grauen unverputzten Saturn, einen grellen LIDL und einige Filialisten. Für die wenigen Ausnahmen bräuchte man wahrlich nicht diesen Aufwand.

 

Im September 2005 wurde mit dem ECE-Center Ettlinger Tor das größte Einkaufszentrum Süddeutschlands mit rund 130 Fachgeschäften eröffnet. Den Lobpreisungen kann ich mich auch nach einigen Besuchen nicht anschließen. Ich sehe hier keine geschmackvolle Aufwertung für die Stadt Karlsruhe. Was man vorfindet ist dickaufgetragener Pomp und inszeniertes anbiederndes Erlebnis. Mit der Eingliederung der Fassade des alten Kammertheaters in den Bau haben die Architekten nicht mehr als ihre Pflicht getan. Der Bau stellt sich insgesamt jedoch als Klotz ohne Schick dar. Besonders die Ecken ragen zu wuchtig in den Raum, so dass die Flucht durch die Erbprinzenstrasse zum Rondellplatz nicht mehr stimmt. Der Bau wirkt gegenüber der feinen Architektur des Staatlichen Museums für Naturkunde, ein Neorenaissancebau und dem ehemaligen Markgräflich – Hochbergschen Palais am Rondellplatz und der eher schmalen Erbprinzenstraße wie ein erdrückender Fremdkörper in der Nachbarschaft. Die Fassade ist, wie heute üblich, langweilig, unstrukturiert und farblos hell. Dagegen strahlt die lichte strukturierte Glasfassade des IHK-Neubaus mit den von der Straße zugänglichen Geschäften Eleganz aus. Auf dieser innerstädtischen Fläche hätte auch ein kleines Viertel mit Wegen zwischen ortsansässigen Geschäften, Ateliers und Werkstätten entstehen können. Stattdessen ist ein Zirkus entlang einer gerade modernen Mall eingezogen, der in diesem ECE-Center wie auch im ECE-Center Berlin oder in all den anderen flächig verstreuten ECE-Centern der Republik  vorzufinden ist. Die wenigen Karlsruher Geschäftsleute die ihre Läden in der Stadt aufgegeben haben und dort eingezogen sind, führen in einem der Guckkästen ein im Vergleich zur vorherigen Auswahl kastriertes Angebot. Ansonsten gibt es die Standardfilialisten, die in der ECE-eigenen Werbezeitung den Schein der Exklusivität vorgeben. Tatsächlich sind es austauschbare Namen, hinter denen irgendwelche großen Gesellschaften stehen. Geschäftsmodelle, die im Zweifelsfall nicht den Menschen, sondern die Gewinnmaximierung im Blick haben.

 

Großstadt definiere ich anders. Da sehe ich individuelle große und kleine ortsansässige Geschäfte mit tollen Auslagen in herrschaftlichen Häusern mit reicher Bauzier. In anderen Städten suche ich keine Einkaufszentren mit Saturn- und Thalia- Filialen oder Modegeschäften der Douglas Holding AG auf. Ich denke, dass die Entscheider in der Stadt weniger den Gutachten von Wirtschaftsberatern und der Lobby der Centermanager hörig sein sollten, sondern mehr auf das schauen und fördern sollten, was sie schon haben. Nämlich die Karlsruher Geschäftsleute, die sich mit viel Eigeninitiave einbringen und statt mit LIDL-Fahnen auch mal zur blumigen Stadtverschönerung beitragen, auch wenn die Stadt dafür Gebühren verlangt. Die Entwicklung von Gebäuden an Schlüsselstandorten des städtischen Raumes darf nicht Investoren überlassen werden, die in erster Linie der Gewinnmaximierung verpflichtet sind. Ideenreiche Neubauten mit schöner Bauzier könnten dagegen mit einer Stiftung gefördert werden und die kommunale Hand sollte zur Mitbestimmung von Bau und Betrieb Anteile daran haben. Damit wäre der Wirtschaft gedient und echte Talente wie es Hermann Billing war würden gefördert.

 

Wettkampf der Kommunen

In den letzten Jahren wurde trotz sinkender Nettoeinkommen immer mehr Verkaufsfläche geschaffen und die Öffnungszeiten verlängert. Hierzu ein Zitat aus der Zeit „...Der massive Personalabbau der Lebensmittelbranche ging in den vergangenen Jahren vollständig zu Lasten der Vollzeitstellen. Die Teilzeitjobs nehmen zu. Für stabile Beschäftigungsverhältnisse, existenzsicherndes Einkommen und planbare Arbeitszeiten ist kein Raum in  einer Arbeitswelt  mit immer späterem Ladenschluss bei gleichzeitig früher Ladenöffnung....In den vergangenen 4 Jahren (Stand Ende 2005) wurden prozentual 6% mehr Verkaufsfläche geschaffen, bei gleichzeitigem Umsatzrückgang von 3%. 12% Vollzeitjobs wurden gestrichen, bei gleichzeitiger Schaffung von Teilzeitjobs von nur 4%....“ Wenn die Wirtschaft durch die Anziehung neuer Kunden wachsen soll, ist das eine schlichte Milchmädchenrechnung. Was nützt es, wenn die Kunden an ihrem Wohnort fehlen? Das dick aufgetragene entstellt die Städte. Wenn hier jemand gewinnt, dann ist es nicht diese oder jene Gemeinde, nicht die Bürger und schon gar nicht der Staat als ganzes. Es sind die großen Unternehmen wie die ECE-Gesellschaft, Herr Schwarz von LIDL, die Gebrüder Albrecht von Aldi, IKEA, die MetroGroup, die Douglas Holding AG, die die Gewinne einstreichen. Die Aktiengesellschaften können einmal mehr blumige Geschäftsberichte schreiben, aber das Wirtschaftswachstum macht sich eben nicht nur an solchen Berichten fest, sondern hängt auch vom Schicksal der vielen tausend kleinen Konkurrenten und den von Knebelverträgen gebeutelten produzierenden Betrieben ab.

Bei ECE lohnt ein Blick auf die Standortkarte http://www.ece.de/de/shopping/center/standortkarte.jsp  Von Blume 2000 über Nanu Nana, Douglas und Mango findet man deutschlandweit all jene Filialisten, die in unserem Ettlinger Tor das besondere vorgeben. Dabei ist es nur ein vielkopierter Abklatsch. Bundesweit haben Städte zehntausende Quadratmeter Verkaufsfläche geschaffen, nur um auch so einen Magneten zu haben. In diesen Hallen hat kaufmännische Eigeninitiative nur im geringen Ausmaß eine Chance.

Für Aldi und Lidl stellen kleinste Gemeinden in schönster Landschaft einen Bauplatz zur Verfügung, um als Wohnort für die sparenden Häuslebauer attraktiv zu sein. Unmengen von Flächen werden für IKEA, oder das Roppenheimer Markendorf verbaut. Langsam wachsende Strukturen werden mit großen Einkaufszentren wie das Ufo in Baden-Baden oder das neue Fachmarktzentrum in Maximiliansau ausgebremst. Wie schon das Regierungspräsidium kürzlich richtigerweise feststellte, ist das Warenangebot eines IKEA die Domäne der Geschäfte in den Innenstädten. Ich erweitere dies auch auf Möbel. Meinetwegen braucht nach diesen Maßstäben überhaupt kein IKEA mehr in Baden-Württemberg zu eröffnen. Ebenso verhält es sich mit den irrwitzig wachsenden Baumärkten. Jede Gemeinde stellt im Wettbewerb immer größere Flächen für solche  und andere Märkte zur Verfügung. Dabei sinkt in vielen Branchen der Gesamtumsatz, während die Verkaufsfläche stetig steigt. Vieles bekommt man gar nicht mehr einfach so mal schnell im klassischen inhabergeführten Geschäft. Für sie lohnt es sich nicht mehr. Hier habe ich schon Erfahrungen in Spielzeugläden und Elektrofachgeschäften gemacht. Inzwischen muss man unter Umständen auf Aktionen der Discounter warten oder umständlich zum Fachmarkt am Stadtrand fahren.

Ist es nicht unehrenhaft, ein für einen Stadtteil (Cité) überdeminsioniertes Ufo zu bauen, nur um  anderen Städten Käufer abzuluchsen? Dabei zieht dort doch nur wieder diese Bagage aus MediaMarkt, H&M und Co ein. Ich als Kunde stehe da nur unter Kaufzwang,  wenn ich weit angereist die möglicherweise nur kurzfristig angebotenen Waren sehe. Wieso fördert man nicht dagegen die Entstehung einer bunten Geschäftswelt inklusive inhabergeführten Elektrofachgeschäften? Es gibt noch Idealisten wie Elektro-Manes in der Weststadt, wo der Nachwuchs noch die Gesellenprüfung ablegt und mit aufwändigen Schulungen bei den Herstellern Kompetenz gegenüber den großen Märkten erlangt. Statt den schnellen Sofortlösungen mit den Einkaufszentren die auf Kosten der anderen Gemeinden die Statistik schönen, sollte man mehr im kleinen fördern. Z.b. mit günstigen Kleinkrediten, wie dies auch in Entwicklungsländern gemacht wird. Solche Programme haben eine Katalysatorwirkung. Man könnte auch enger mit der IHK zusammenarbeiten und Konzepte für einen nachhaltigen Handel erarbeiten. Konzepte die für Existenzgründungen motivieren und Perspektiven bieten.

 


Meine Initiative

Da ich mich angesichts des wahnwitzigen Wachstums an Verkaufsflächen, der verblödenden Werbung von MediaMarkt und Saturn, discountergläubigen Mitmenschen in einer verrückten Welt auf dem Abstiegsast befinde und eigene Ideen habe, wie man es besser machen kann, habe ich mich an dem Diplom-Projekt der wir.ag  (http://www.wir.ag/) an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe beteiligt. Als Weltverbesserer Nr 22 habe ich mein Anliegen „Geiz ist ungeil und ein gänzlich freier Markt schadet dem Staat und dem ihn begründenden Bürgern. Das Wachstum einzelner Unternehmen ist kein Garant für Wirtschaftswachstum.“ vorgebracht. Die beiligende Zeitung ist das Resultat dieser graphischen Arbeit, die ich nun verteilen werde. Viele andere Weltverbesserer hatten ebenfalls bemerkenswerte Anliegen aus verschiedenen Bereichen. Das Projekt wird aufmerksam vom SWR, WDR, Deutschlandfunk und lokalen Medien beobachtet.

 

Mit freundlichen Grüßen,

 

 

Matthias Böhringer

(ein Verbraucher, 33 Jahre)